Predigt Ostersonntag, 21.04.2019, Joh 20,11-18

 

112,1-3,6 Auf, auf, mein Herz mit Freuden, 116,1-5 Er ist erstanden, Halleluja, 103,1-5 Gelobt sei Gott im höchsten Thron, 100,1-5 Wir wollen alle fröhlich sein, 229,1-3 Kommt mit Gaben und Lobgesang

Psalm 118 (eg 751), Schriftlesung: 1. Samuel 2,1-8a, Heidelberger Katechismus, Frage 45

Liebe Gemeinde!

Am ersten Tag der Woche, frühmorgens, als es noch dunkel ist, kommt Maria Magdalena zum Grab und sieht, dass der Stein weg ist. Sie läuft und kommt zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebhat, und sagt ihnen: Sie haben den Herrn genommen und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

Die beiden machen sich auf den Weg und laufen zum Grab und finden es so, wie Maria gesagt hat. Da sind nur die Leinentücher und das Schweißtuch, wo Jesus gelegen hat. Ansonsten keine Spur des toten Jesus. Da gehen sie wieder zurück zu den anderen Schülern.

Maria aber steht draußen vor dem Grab und weint. Was suchen, was finden wir, wenn wir uns auf dem Weg zum Grab eines geliebten Menschen machen? Was bedeutet das, einen Ort zu haben, an dem sich unsere Trauer festmachen kann? Macht es das leichter, sich an den Menschen zu erinnern, Zwiesprache mit unsren Toten zu halten, an das zu denken, was wir gemeinsam erlebt haben, das Gedächtnis daran wach zu halten? Was würde es Maria helfen, den toten Jesus zu sehen? Würde es nicht alles nur noch schlimmer machen? Ja, aber woran soll sie sich denn sonst festklammern? Jetzt haben sie ihr auch das noch genommen. Wenn uns irgendetwas sicher zu sein scheint, dann der Tod. Maria weint. Sie geht nicht weg. Sie mag diesen Ort nicht verlassen. Sie lässt ihren Tränen freien Lauf. Sie weint um das, was sie und die anderen verloren haben. Eine Gemeinde ohne Jesus ist ein todtrauriger Ort, ein Ort zum Weinen.

Unter Tränen wirft Maria einen Blick ins Grab. Und sieht dort zwei Engel in leuchtend weißen Kleidern sitzen, einer dort, wo Jesu Kopf, einer dort, wo Jesu Füße gelegen haben. Die Engel sprechen Maria an: Warum weinst Du?

Was würden wir darum geben, einen leibhaftigen Engel zu sehen? Ich meine zusätzlich zu den Engeln, die Gott in Form von anderen Menschen zu uns schickt. So einen Berufsengel halt, einen Engel vom Himmel, einen der schon im Chor vor Gottes Thron mitgesungen hat, ja vielleicht sogar einen Engel mit richtigen Flügeln. Wenn wir den mit unseren eigenen Augen zu Gesicht bekämen, na, da würden wir doch sofort zwei und zwei zusammen zählen: Das Grab Jesu leer, sein Körper verschwunden, zwei Engel in leuchtenden Kleidern an genau der Stelle, wo Jesus gelegen hat und dann auch noch diese Frage: „Warum weinst Du bloß?“ Das kann doch nur bedeuten, dass die Engel davon überzeugt sind, dass es überhaupt keinen Grund zum Weinen gibt. Und das kann doch wiederum nur heißen, dass Jesus nicht tot ist, sondern dass er lebt, wo auch immer, wie auch immer, wodurch auch immer. Noch dazu, wo Maria Magdalena bei der Kreuzigung dabei war und mit eigenen Ohren gehört hat, wie Jesus, Sekunden bevor er gestorben ist, gesagt hat: „Es ist vollbracht.“ Wenn das nicht logisch ist.

Ja, Du liebe Couch-Potato. glaubst Du wirklich, dass dem Tod mit ein bisschen cooler Zuschauer-Logik beizukommen ist. Tot ist tot, da kann man nichts machen. Da muss man sich mit abfinden. Du musst lernen, ja dazu zu sagen, dass Du ein endlicher, sterblicher Mensch bist. Wie kommt man gegen diese schlagende Gewissheit bloß an. Was hältst Du dem entgegen, wenn andere solche Sätze sagen? Muss ich dagegen halten? Kann ich das? Nein, Maria aus Magdala schwebt nicht über diesen Fragen. Sie steckt da mitten drin. Nicht weniger als Du und ich. Sie findet von alleine nicht raus aus diesen Fragen. Sie bricht das von selber nicht auf, diese Überzeugung, die uns in den Knochen sitzt: Nichts ist so sicher wie der Tod.

Sie haben meinen Herrn genommen, sagt Maria zu den Engeln. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Das ist meine Sorge. Das macht mich kirre. Das müsst Ihr doch verstehen. Noch während sie das sagt, bevor die Engel ihr etwas antworten können, dreht Maria sich um. Sie kehrt den Engeln den Rücken zu und sieht Jesus vor sich stehen. Und sie weiß nicht, dass es Jesus ist.

Wie kann das sein, dass Jesus direkt vor ihr steht und sie erkennt ihn nicht? Er ist doch kein Gespenst. Er hat doch nicht auf einmal sein Aussehen verändert. Ist es einfach, weil, nachdem Jesu toter Körper verschwunden ist, Maria darauf gefasst ist, mit allem Möglichen zu rechnen, nur damit nicht. So fixiert darauf, dass es eine normale, eine natürliche, eine vernünftige Erklärung für das Ganze geben muss. Ist das Wahrnehmungsvermögen unseres menschlichen Sehapparats nun mal nicht dafür gemacht, den Auferstandenen wahrzunehmen? Dass Maria Magdalena Jesus nicht erkennt, ist das ein Hinweis darauf, dass erst recht gegenüber dem auferstandenen Jesus gilt, dass wir nicht berechtigt sind, dass wir uns davor hüten sollen, uns ein Bild von ihm zu machen.

Irgendwas wird schon dran sein an all diesen Fragen, aber ich fürchte, wirklich weiterbringen tun sie uns nicht. Und Maria schon gar nicht. Sie ist noch immer auf der Suche nach dem toten Jesus. Sie hält Jesus für den Gärtner. Kein Wunder. Denn das Grab, in dem Joseph von Arimathia und Nikodemus Jesus beerdigt haben, liegt in einem Garten. „Warum weinst Du, Frau?“ fragt Jesus Maria, genau wie zuvor die Engel. Aber er fügt hinzu: „Wen suchst Du?“ Wer, wenn nicht der Gärtner, soll Maria bei ihrer Suche weiterhelfen? „Herr, wenn Du ihn genommen hast, dann sag mir, wohin Du ihn gelegt hast, und dann nehme ich ihn.“

Da ruft Jesus sie bei ihrem Namen: „Maria.“ Und sie wendet sich ein Weiteres Mal zu ihm um. Dieses Mal ganz bewusst, dieses Mal zu Jesus als einem wirklichen Gegenüber. Rabbuni, sagt Maria, mein Rabbi, mein Lehrer. Es ist seine Stimme, mit der er sie bei ihrem Namen ruft, an dem Maria erkennt, wer da vor ihr steht. Daran und an nichts anderem. Das reicht aus, damit auf einmal alles anders wird. Aber genau das ist es, was sie nötig hat. Nicht mehr, aber auf keinen Fall weniger.

Ob wir’s glauben oder nicht, wir sind in dieser Beziehung kein bisschen anders dran als Maria Magdalena. Wenn Jesus uns nicht gegenübertritt, wenn er sich uns nicht in den Weg stillt, wenn er uns nicht bei unseren Namen ruft, wenn er sich nicht als der Lebendige bei uns Gehör verschafft, dann wird nichts und niemand uns daran hindern, mit unseren Todesgedanken weiterzumachen, mit unseren Versuchen, dass zu konservieren, das mit aller Gewalt krampfhaft festzuhalten, was uns entzogen ist, uns festzuklammern an die Menschen, die wir verloren haben, und vor allem werden wir dann damit weitermachen, ihn den Lebendigen, vergeblich bei den Toten zu suchen. Dort aber ist er definitiv nicht zu finden.

Wir haben das nicht in der Hand, dass er uns gegenübertritt, wir haben das nicht in der Hand, dass wir seine Stimme hören, und das wir im Hören seiner Stimme erkennen, dass er uns bei unseren Namen ruft. Wir haben nichts als sein Versprechen, dass er es tun wird, dass er alle Tage bei uns sein wird, bis an der Welt Ende.

Sag jetzt nicht, aber ich habe noch nie Jesus gegenüber gestanden, so wie Maria Magdalena ihm nach seiner Auferstehung gegenüber gestanden hat. Und: ich habe auch kein Organ dafür, so etwas wie Stimmen zu hören. An so etwas glaube ich nicht. Aber sei darauf gefasst, dass Dir das jederzeit passieren kann, ohne dass Du darauf gefasst warst, ohne dass Du damit gerechnet hast, dass Du auf einmal weißt: Ich bin gemeint. Dass Du Dir auf einmal sicher bist: dass, was ich da gerade höre, das ist die Wahrheit.

Wer sagt denn, dass Dir das nicht heute im Gottesdienst passieren kann, vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit, vielleicht eben so deutlich wie erst vor ein paar Tagen, vielleicht so als wär es das erste Mal überhaupt. Muss ja nicht bei einem der gesprochenen Worte sein, während der Lesung, während der Predigt, wenn wir Abendmahl feiern. Kann genauso gut bei eine Liedzeile sein, die Dir nicht mehr aus dem Kopf geht, dass der Auferstandene Dir zu verstehen gibt, ich bin da, Du kannst auf mich zählen, rechne mit mir!

Kann genauso gut wie während so auch außerhalb des Gottesdienstes sein, wenn Du nach liebgewordener Gewohnheit, alleine oder mit anderen einen Abschnitt aus der Bibel liest, wenn Du sie in der Hand nimmst, und eher zufällig darin herumblätterst, wenn Du einem Ort, wo Du überhaupt nicht damit gerechnet hast, über Worte aus der Bibel stolperst: auf einer Litfaßsäule, im Wartezimmer einer Arztpraxis. Kann sein, dass der Auferstandene Dir in den Weg tritt, Dich anspricht, in dem, was Du einen bestimmten Menschen oder auch eine Gruppe von mehreren Menschen gemeinsam tun siehst. Kann sein. Dass der Auferstandene sich unmissverständlich bei Dir zu Wort meldet, in dem, was Du Dich plötzlich tun siehst, obwohl Du Dich in der Vergangenheit immer dagegen gewehrt hast: er Deinen Stolz überwindet und Dich dazu bringt, Dir helfen zu lassen, dass er Dir die Kraft schenkt, einem Menschen etwas zu vergeben, von dem Du immer gedacht hast, dass Du dazu nie im Stande sein wirst. Es kann sein, dass Dir daran klar wird, dass Du es mit ihm zu tun hast, dass er Dich dazu bringt an Orte, zu Menschen zu gehen, um die Du bisher einen großen Bogen gemacht hast und Du staunst, wie wohl Du Dich in ihrer Gesellschaft fühlst.

Es kann sein, dass Dir seine Freundlichkeit, seine grundlose Güte aus den Melodiebögen eines Musikstücks entgegentritt, aus dem Strahlen, dem Ernst und der Intensität auf den Gesichtern der Menschen, die diese Zeilen singen.

Noch bevor Maria Magdalena irgendetwas gesagt oder getan hätte, was darauf schließen ließe, sie sei im Begriff, Jesus an sich zu drücken, ihm vor Freude um den Hals zu fallen, um ihn am liebsten nie wieder los zu lassen, da sagt er zu ihr: Fass mich nicht an, berühr mich nicht,

Maria, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater in den Himmel aufgefahren.

Nicht wahr, in unseren Ohren seltsame, vielleicht sogar befremdliche Worte sind das, zumal wenn wir daran denken, dass wir im Evangelium nur ein wenig weiter lesen müssen, um auf den zweifelnden Thomas zu stoßen, dem Jesus es ausdrücklich erlaubt, seine Hände in seine Wunden zu legen.

Was ist das für eine – zumindest vorläufige – Grenze, die Jesus hier zieht, zwischen Maria und sich gerade in dem Moment, in dem sie ihn endlich wiedergefunden hat, in dem Moment, in dem sie die beglückende Erfahrung macht, dass er nicht tot ist, sondern lebt. Rühr mich nicht an, tritt mir nicht zu nahe, wenigstens jetzt noch nicht.

Was ist das für eine – zumindest vorläufige – Grenze, die Jesus hier zieht, zwischen sich und uns, gerade in dem Moment, in dem wir aus seinem Mund unsre Namen hören und fröhlich entdecken wir sind gemeint?

Vor was vor einer Art von Zudringlichkeit muss er Maria und so auch Dich und mich schützen, um uns nahe zu sein, um Gemeinschaft mit uns zu haben? Was hat das neue, das österliche Leben, das Leben aus den Toten für eine Qualität, die anders ist als das Leben, das wir bisher kennen.

Der Jesus, den Gott von den Toten auferweckt hat, der ist nicht Dein, der ist nicht mein Jesus, er gehört mir nicht. Er gehört nicht unserer Gemeinde. Er gehört nicht der Kirche. Er lässt sich nicht von uns in Beschlag nehmen. Er ist Licht und Leben für die Welt, Licht und Leben für alle Menschen.

Aber, sagst Du, gilt das nicht auch für den Jesus, der unter uns gelebt hat, der mit seinen Schülern und Schülerinnen durch Galiläa und Judä gezogen ist und den Menschen in Wort und Tat Gottes Reich vor Augen gemalt hat? Hat er nicht deshalb gelitten, ist er nicht dafür gestorben, weil er das Licht und das Leben aller Menschen ist?. Ja doch! Aber so gewiss er sich freiwillig in die Mühlen der Mächtigen begeben, sich ihnen mit Haut und Haaren ausgeliefert hat, die Gewalt, die sie ihm angetan haben, uns zugute durchlitten hat, so gewiss wird seinem neuen Leben niemand mehr Gewalt antun können. Kein Pontius Pilatus, kein jüdischer Gerichtshof, weder Du noch ich werden über Jesus zu Gericht sitzen, sondern ihn, den für uns Gekreuzigten, setzt Gott zum Richter ein, ihn lässt er zu seiner Rechten Platz nehmen, auf ihn hört er, wenn er für die Menschen Partei ergreift, für die er sein Leben gelassen hat.

Und deshalb: Rühr mich nicht an, Maria, nicht bevor ich zu meinem Vater im Himmel aufgestiegen bin. Kommen wird der Tag, an dem Gott uns berühren, an dem er unsere Tränen abwischen wird.

Jesu neues, österliches Leben, dem wir keine Gewalt mehr antun können, das vor unser Unklammerungsversuchen, das vor unseren Versuchen, es für uns zu vereinnahmen, es für unsere Zwecke zu vermarkten, geschützt ist, das ist nicht Jesu Privateigentum. Das will er nicht exklusiv für sich. Das will er mit uns teilen. Ich lebe und ihr sollt auch leben, ist sein Versprechen an uns an jedem neuen Tag.

Sein neues, österliches Leben ist Verheißung und Hoffnung für Dein und mein Leben, ist Verheißung und Hoffnung für, es ist Jesu gelebter Einspruch gegen jedes geschundene, vergewaltigte Menschenleben, es ist Einspruch gegen das geschundene und vergewaltigte Leben aller Kreatur.

Dafür als erste, uns allen voran, Jesu Zeugin zu sein, dazu ist Maria Magdalena gewürdigt, berufen, gesandt. Aus ihrem Munde erfahren Jesu Freunde und Schüler die frohe Botschaft als Erste. Aus ihrem Munde hören wir sie heute aufs Neue: Zu unserem Trost, zu unserer Freude, auf das auch wir mutige und furchtlose Zeugen und Zeuginnen werden: Ich habe den Herrn gesehen. Er ist nicht tot. Er lebt. Er ist wahrhaftig auferstanden.

Amen.

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