Predigt 1. Weihnachtstag

  1. Joh 3,1-6   Seht welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder sollen heißen.

Liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen noch einmal zu diesem stillen Gottesdienst am 1. Weihnachtstag. Schön, dass Sie, schön, dass Du gekommen bist, dass Du Deine vertrauten Räume, die ausgepackten Geschenke, vielleicht auch einen Teil Deiner Familie sich selbst überlassen hast, um gemeinsam mit uns über das Geheimnis von Weihnachten nachzusinnnen, um offen dafür zu werden, in welcher Weise diese Geburt unser Leben verändert.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder sollen heißen. Viele, viele Male haben wir diese Zeile in den Proben unseres Chroprojekts für den Singegottesdienst am 3. Advent gesungen. Was ist den anderen im Chor, was ist mir beim Singen dieser Worte durch den Kopf gegangen? Was haben diejenigen unter Ihnen, unter Euch gedacht, gefühlt, die uns am 3. Advent zugehört haben?

Seht“, fordert uns der Schreiber des 1. Johannesbriefs auf. Das soll auf keinen Fall passieren, dass wir da unbedacht drüber weggehen und am Ende das Wichtigste verpassen. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Gottes Sohn, Gottes Kind. Diese Geburt ist aus Liebe geschehen, aus Gottes Liebe zu seinem jüdischen Volk, aus Gottes Liebe zu allen seinen Menschen, aus Gottes Liebe zu Dir und mir. In diesem Kind hat Gott sich auf immer mit uns verbündet. Er ist Gottes eingeborener Sohn, wie ganz Israel Gottes Erstgeborener. Aber dazu hat Gott sein fleischgewordenes Wort bestimmt, der erste unter einer großen, großen Schar von Geschwistern zu werden. Dazu ist dieses Kind geboren, um aus Sklaven erbberechtigte Geschwisterkinder zu machen.

Wie oft hast Du das schon gehört, dass Du Gottes Kind bist, dass er Dich „mein Sohn“, „meine Tochter“ ruft. Wie oft hast Du selbst ihn schon mit Vater angesprochen: beim gemeinsamen Beten hier im Gottesdienst in der Kirche, bei einem Stoßgebet auf dem Flur im Krankenhaus, bevor Du an der Tür angeklopft hast. Ist Dir das zur schönen Gewohnheit, zur vertrauten Routine geworden? Ist Dir klar, was Gott über Dich sagt, wenn er Dich „mein Sohn“, „meine Tochter“, „mein Kind“ nennt. Weißt Du, was Du sagst, wenn Du ihn so selbstverständlich Vater nennst?

Er steht dafür gerade, dass er Dich nicht im Stich lassen wird. Auch wenn Dein leiblicher Vater Dich verlässt, Dich schwer enttäuscht, auch wenn er Dich missbraucht; selbst wenn Deine leibliche Mutter Dich abschreibt, den Kontakt mit Dir abbricht, Dich vor Deinen Freunden schlecht macht; er, Dein Gott, wird Dich nicht im Stich lassen.

Egal wie bindfadendünn Dein Glaube ist, egal wie lange Du Deinen Gott nichts von Dir hören lässt; egal wie tieff Du Geschwister, andere Söhne und Töchter Gottes, verletzt hast; egal wie sehr Du Gott mit Deiner Weigerung, Dir von ihm helfen zu lassen, wehtust, er wird nicht aufhören, Dich „mein Sohn“, „meine Tochter“ zu rufen. Egal wie Du selbst Dich siehst, für ihn wirst Du nicht aufhören sein Kind zu sein. Er wird nicht aufhören, an Dich wie an sein Kind zu denken. Er wird nicht aufhören, Dich wie sein Kind zu behandeln. Du wirst nicht aufhören, für ihn sein Kind zu sein.

Wir sind und wir bleiben in seinen Augen seine Kinder, die Schwestern und Brüder des Kindes von Bethlehem. Nicht seine leiblichen Geschwister, aber darauf kommt es nicht an. Blutsbande, das spielt in der Bibel eine eher untergeordnete Rolle. Wir sind Geschwister Jesu, weil wir mit ihm den brennenden Wunsch teilen, dass unter uns Gottes Wille geschieht, dass das Hauen und Stechen um die höchste Profitrate gestoppt wird, dass Gott unsere Angst besiegt, dass er unserer Rechthaberei Herr wird.

Wi sind und wir bleiben Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Es ist noch nicht erschienen, wie wir sein werden, wenn Gottes vollkommende Liebe unsere Furcht ausgetrieben hat, wenn wir uns nicht mehr durch die Angst vor Strafe leiten lassen; wenn unser Verhalten gegenüber dem geliebten Menschen frei ist, von der Angst, ihn verlieren zu können; wenn wir frei sind von der Sorge, für das, was wir tun, nicht genug Aufmerksamkeit, nicht die Achtung zu bekommen, die wir in unseren Augen verdienen.

Es ist noch nicht erschienen, wie wir sein werden, wenn wir unsere Angst verloren haben, mit den Jüngeren nicht mehr mithalten zu können; wenn wir unseren Frieden damit gemacht haben, dass unsere körperlichen Kräfte weniger und weniger werden, wie das sein wird, wenn wir morgens beim ersten Weg ins Bad den Impuls verspüren, unser Spiegelbild anzustrahlen.

Es ist noch nicht erschienen, wie wir sein werden, wenn wir das nicht mehr brauchen, dass es anderen auch schlecht geht; wenn wir andere nicht mehr um ihr Glück beneiden, sondern uns von Herzen für sie freuen können. Es ist noch nicht erschienen, wie wir sein werden, wenn wir freiwillig all die hohen Rösser verlassern, die uns dazu gedient haben, auf andere herabzusehen, wegen der Dinge, die wir doch so viel besser können als sie.

Es ist noch nicht erschienen, wie wir sein werden. Wir kennen uns so noch nicht. Wir haben noch keine Erfahrung davon. Aber das wissen wir bestimmt: wenn es erscheinen wird, dann werden wir ihm gleich sein, weil wir ihn sehen werden, wie er ist.

Ich bin nicht dazu bestimmt, an meiner Eitelkeit zugrunde zu gehen. Ich bin nicht dazu bestimmt, ein knöderiger Griesgram zu werden, der sich selbst nicht leiden kann. Ich bin nicht dazu bestimmt, mich vor den Menschen zu fürchten, die mir fremd sind, die mich einschüchtern, die mir Rätsel aufgeben.

Ich bin nicht dazu bestimmt, den Stab über einem Menschen zu brechen, ihn als erledigt zu betrachten, ihn in dem Bild festzunageln, dass ich mir von ihm gemacht habe.

Ich bin nicht dazu bestimmt, mich klein zu machen, mich zu verstecken, mich anzupassen, meine Energien darauf zu verwenden, bloß nicht anzuecken,

ich bin nicht dazu bestimmt, mich in meinem Hass festzufressen, mich nur noch grün und blau zu ärgern.

Dazu bin ich bestimmt, darauf lebe ich zu: Wenn erscheinen wird, was ich sein werde, dann werde ich dem gleich sein, der mich als sein Kind liebt. Ich werde dem gleich sein, der sich nicht geschämt hat, als schutzbedürftiger Säugling in einer Futterkrippe zu liegen und an den Brüsten seiner Mutter zu saugen.

Ich werde dem gleich sein, der die Sünder liebt, der den reichen Betrüger Zachäus von seinem Baum herunterholt und sich bei ihm zum Essen einlädt. Ich werde dem ähneln, der sich die Schürze umbindet, um seinen müden Schülern die staubigen Füße zu waschen.

Ich werde dem ähneln, der um unseretwillen so schwach und gering und verachtet geworden ist. Ich werde dem ähneln, der für die Seinen und für uns, als wir noch seine Feinde waren, in den Tod gegangen ist. Ich werde dem ähneln, der den, der ihn verraten hat, zum Hirten seiner Gemeinde macht, die Menschen seiner Gemeinde seinen Händen anvertraut.

Ich werde ihm ähneln, weil ich ihn sehen werde, wie er ist. Du wirst ihm ähneln, weil Du ihn sehen wirst, wie er ist. Wir werden ihm ähneln, weil wir ihn sehen werden, wie er ist. Wir werden ihn von innen heraus verstehen. Wir werden verstehen, dass es keinen anderen Weg gegeben hat, als den, den er gegangen ist. Wir werden glücklich sein, dass wir seine Schwestern und seine Brüder sind. Wir werden glücklich sein, geliebte Kinder desselben Vaters zu sein. Wir werden vor der Liebe des Vaters im Himmel nicht mehr davon laufen. Wir werden ihm seine Liebe glauben.

Denkst Du jetzt: ja, sicher, das ist schön, was Du sagst. Irgendwann im Reich Gottes wird das sicher so sein, aber das ist ferne Zukunftsmusik. Was hat das mit unserem Hier und Jetzt zu tun. Wie könnte ich es wagen, mich selbst mit dem Kind in der Krippe, mich mit Jesus zu vergleichen?“

Wenn Du so denkst, wenn ich so denke, dann haben wir es schwarz auf weiß, was Johannes uns antworten wird:

Jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der wird sich selbst reinigen, so wie er rein ist. Du kannst nicht auf Gottes Reich hoffen, Du kannst nicht sein Kommen herbeisehnen; Du kannst nicht von einem Himmel träumen, in dem der Hass zwischen den Völkern und die Angst voreinander endlich verschwunden sein werden , indem Ausbeutung und Unterdrückung unverständiche Fremdwörter geworden sind; Du kannst nicht an Weihnachten von der Reinheit und Unschuld des Jesus-Kindes singen, und gleichzeitig resignierend mit den Schultern zucken und behaupten, dass Du nun mal bist, der Du bist, und dass die Menschen um Dich herum und die von ihnen geschaffen bösen Strukturen nun mal sind, was sie sind.

Du kannst nicht den Jesus-Namen in den Mund nehmen, all die Hoffnungen und Verheißungen, die damit verknüpft sind, und gleichzeitig davon ausgehen, dass ausgerechnet Du unverändert für immer der bleiben wirst, der Du durch all die Erfahrungen, die Du gemacht, durch all die Wunden, die Du dabei erlitten hast, geworden bist.

Du kannst Dich nicht in die Nähe des Kindes in der Krippe begeben, ohne von dem unwiderstehlichen Wunsch erfasst zu werden, dass Du selber rein wirst, wie dieses Kind rein ist, dass die reine, klare Luft, die Du in seiner Gegenwart atmest, sich in Deinen eigenen Räumen ausbreiten möge, dass dieses Kindes an Dir sein Reinigungswerk beginnen, dass es besser heute als morgen damit anfangen soll.

Ja, sagst Du, wer von uns wünscht sich das nicht: rein zu sein, all das los zu werden, womit ich andren und mir selbst Tag für Tag das Leben schwer mache. Aber das ist Ihnen schon klar, dass wir, solange wir auf dieser Erde leben, nicht aufhören werden, sündige, fehlbare Menschen zu sein, die oft genug das Gegenteil von dem tun, was sie tun möchten. Und selbst wenn sie das tun, was sie als richtig erkannt zu haben glauben, dann ist lange nicht gesagt, was bei ihren guten, hehren Absichten herauskommen wird. Das ist noch lange keine Garantie dafür, sich aller guten Absichten zum Trotz trotzdem schuldig zu machen.

Einverstanden wird Johannes sagen. Blättere in Deiner Bibel nur eine Seite zurück und da findest Du es ein weiteres Mal schwarz auf weiß. Ich habe geschrieben: Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünde bekennen, so ist er treu und gerecht und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.

Ja, das ist Kernbestandteil der Liebe, die uns der Vater dadurch erweist, dass er in uns seine Kinder sieht: Diese Liebe vertreibt auch diese Angst: die Angst, wie ich da stehe, wenn an den Tag kommt, was ich angerichtet, was ich vermasselt, was ich unwiderruflich versäumt habe. Die Liebe des himmlischen Vaters zu seinem Kind macht mich frei, zu sagen: Ich war’s, ich hab’s versaut. Immer kann ich mir sicher sein, dass es dort zwei offene Vaterarme gibt, die darauf warten, mich in ihre Arme zu schließen.

Seht, welch eine Liebe, hat uns der Vater erwiesen, dass wir seine Kinder heißen sollen, und wir sind’s auch.

Und dennoch ist auch dies wahr: Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht. Jeder der sündigt, der hat ihn nicht gesehen, der hat ihn nicht erkannt, der hat nicht die Liebe erkannt, die der Vater uns erweist, indem er zu uns sagt: „meine Tochter“, „mein Sohn“. Dass wir sündigen ist nicht die selbstverständlichste, es ist für Kinder Gottes eher die komischste Sache von der Welt.

Sünde ist ein Symptom, dass wir uns der Liebe, die uns der Vater erwiesen hat, nicht völlig sicher sind, dass wir noch immer, wenn auch noch so kleine Fragezeichen dahinter setzen.

Sünde ist ein Symptom, dass wir komischerweise, ohne irgendeinen Anhaltspunkt, die Befürchtung hegen, Gott könnnte sich die Sache mit uns noch einmal anders überlegen,. Und schon ist sie wieder da, die alte Angst, es könnte nicht genug alleine für uns da sein, mitsamt all dem Elend, dass wir aus dieser Angst heraus zustande bringen.

Und deshalb ist es so wichtig, dass wir hinsehen, dass wir uns sattsehen an der Liebe, die Gott uns in dem Kind von Bethlehem erweist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Ohren spitzen und genau hinhören, wie er uns ruft: „Mein Sohn, meine Tochter, mein Kind bist du.

Amen

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert