Predigt auf dem Gemeindefest am 18.6.2017
Lk 10, 25-37
Liebe Gemeinde,
zunächst mal ganz herzlichen Dank an Dean, Janosch, Reinhard, Rolf und Sascha, dass sie uns die Jesus-Geschichte vom barmherzigen Samariter so eindrücklich vorgespielt haben. Das kommt auch nicht so oft vor, dass wir für ein Anspiel im Gottesdienst gleich fünf Männer zur Verfügung haben. Also nochmals: vielen Dank an Euch fünf.
Ihr habt aber nicht nur geholfen, die Geschichte einzuüben. Letzte Woche haben wir uns schon einmal getroffen und damit wir uns übers Helfen überhaupt unterhalten. Ich habe Euch Fragen gestellt und Ihr habt geantwortet. Wem hilfst Du? Wer hilft Dir? Und: Wer ist Dein Nächster, wer ist Deine Nächste? Wisst Ihr, was bei mir am meisten von Euren Antworten hängen geblieben ist? Dass ihr das gerne macht, anderen helfen, dass Euch das Spaß macht:
Euren Eltern helfen, den anderen aus Eurer Wohngruppe, Eurem Freund. Ihr habt mir am Donnerstag alle geholfen, die Stühle wieder ins Gemeindehaus zu tragen, ohne dass ich Euch darum bitten musste. Und Reinhard hat mir noch geholfen, die Gläser und die Kuchenteller in die Küche zu bringen.
Ich glaube, dass Ihr fünf da keine große Ausnahme seid. Ich glaube, dass das bei den allermeisten Menschen so ist, dass Sie gerne helfen, weil es Ihnen Spaß macht.
Ich glaube, es macht Euch, mir und anderen Menschen Spaß, zu helfen, weil es gut tut, zu merken, wie sich die anderen darüber freuen, wie dankbar sie sind. Es tut gut, für die Hilfe gelobt zu werden, Und es ist ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden, nützlich zu sein, etwas Sinnvolles zu tun, etwas, was anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Wenn Menschen nicht helfen, wenn Du einem Menschen nicht hilfst, dann gibt es in aller Regel einen Grund dafür. Zum Beispiel, dass Du auf den Menschen, der Deine Hilfe braucht, sauer bist, dass er Dich verletzt hat, dass Du enttäuscht von ihm bist, weil er Dich im Stich gelassen hat und Ihr jetzt schon seit Tagen kein Wort mehr miteinander geredet habt.
Oder, dass Du zwar gerne helfen würdest, aber Du genau weißt, diese Art von Hilfe, dass kann ich nicht. Ich kann doch nicht einen Menschen aus dem Wasser retten, wenn ich selbst gar nicht schwimmen kann. Ich kann Dir diesen Verband nicht anlegen, ich kann einfach kein Blut sehen, da wird mir sofort schummrig vor Augen. Ich würde Dir gerne bei den Mathehausaufgaben helfen, aber das hat überhaupt keinen Zweck, in Mathe bin ich selbst eine totale Niete.
Deshalb liegt die Frage bei der Jesus-Geschichte, die Ihr uns vorgespielt habt, natürlich auf der Hand: Warum hilft der Pastor nicht dem Mann, der hilflos auf der Erde liegt und vor Schmerzen wimmert? Warum geht er weiter, so als ob er ihn gar nicht bemerkt hätte? Warum benimmt der Pastor sich auf einmal wie ein Eisblock, der ist doch sonst nicht so? Das ist ein einfühlsamer Mensch, der kann gut zuhören, der hat für alle immer ein offenes Ohr, da kannst Du fragen, wen Du willst.
Kann es denn wirklich sein, dass er Angst hat, zu spät zum Gottesdienst zu kommen, und dem schwer verletzten Menschen deshalb nicht helfen will? Es soll ja hier in Vlotho bei der reformierten Gemeinde so einen Pastor geben, der sonntags fast immer auf den letzten Drücker zur Kirche hetzt, weil er mal wieder nicht rechtzeitig mit seiner Predigt fertig geworden ist. Aber das hätte seine Gemeinde doch verstanden, wenn er nur deshalb zu spät gekommen wäre, weil er einem verletzten Menschen geholfen hat.
Und dann der Mann, der beim Roten Kreuz bei der Kleiderkammer mitarbeitet. Der freut sich jedes Mal total mit, wenn jemand, für den auch die Sachen bei C&A viel zu teuer sind, zu ihm kommt, und unter den Second-Hand-Sachen in der Kleiderkammer etwas findet, dass ihm nicht nur passt, sondern das auch noch gut aussieht. Der hat ganz bestimmt ein Herz für die Menschen. Warum geht der auch einfach vorbei?
Ist das so einer von denen, die kein Blut sehen können, die Angst hätten, dass sie dem Verletzen noch mehr Schaden zufügen, wenn sie versuchen, ihm die Wunde zu verbinden? Aber dann hätte er doch wenigstens losrennen und versuchen können, jemand andres zu Hilfe zu holen oder mit seinem Smartphone bei der Feuerwehr anrufen.
Und dann kommt als Drittes ausgerechnet Nico. Der ist dem verletzten, ausgeraubten Menschen bestens bekannt. Jedes Mal, wenn die beiden sich in der Innenstadt über den Weg laufen, dann bekommen sie Zoff miteinander. Er hat einfach das Gefühl, dass dieser Nico ihn nicht leiden kann, warum auch immer. Jedes Mal macht er eine blöde Bemerkung. Das eine Mal lästert er über sein T-Shirt ab. Das andere Mal macht er einen dummen Spruch über seine Frisur. Oder er äfft seine Art zu reden nach. Schrecklicher Typ dieser Nico. Die letzte Zeit wechselt er schon immer vorsichtshalber die Straßenseite, wenn er Nico kommen sieht.
Und jetzt, wo er hier so hilflos auf der Erde liegt und nicht alleine auf die eigenen Füße kommt, wo schon der Pastor und der Mensch von der Kleiderkammer ihn auf der Erde haben liegen lassen, da muss ausgerechnet Nico vorbeikommen. Na, wenn der ihm mal bloß nicht noch einen Fußtritt verpasst.
Und dann kommt alles völlig anders. Nico bleibt stehen. Beugt sich zu ihm runter. Fragt ihn, wo es ihm weh tut. Verbindet ihm mit einem abgerissenen Stück Stoff, so gut er es halt kann die Schulter, richtet ihn vorsichtig auf, hilft ihm auf die Beine, bringt ihn zur nächstgelegen Pension, und redet dringlich auf den Herbergsvater ein, dass der sich auch ja ordentlich um ihn kümmert.
Nicht zu fassen! Da ist plötzlich nicht seine Mama, nicht sein Papa, nicht sein bester Freund, nicht einer der Bewohner aus der Wohngruppe, sondern ausgerechnet Nico für ihn zum Nächsten geworden.
Jesus in seiner Geschichte wie sie in unserer Bibel steht, sagt nicht, warum die ersten beiden Menschen vorübergehen. Er erzählt nur, dass sie nicht helfen. Jesus erzählt nur, dass sie den verletzten Menschen, dem die Räuber die Kleider vom Leib gerissen haben, dort liegen lassen und weitergehen.
In der Geschichte, wie Jesus sie erzählt, ist der Mann, der dem Verletzen schließlich so freundlich hilft und ihn zur Herberge bringt ein Samariter. Samariter nennt man die Leute, die aus Samaria kommen, aus dem mittleren Teil von Israel, der heute Westbank genannt wird. Die Leute aus Samaria und die jüüdischen Einwohner Israels sind sich spinnefeind. Wegen eines alten Glaubensstreit reden sie schon seit Ewigkeiten kein Wort mehr miteinander und machen normalerweise einen großen Bogen umeinander.
Über diesen Mann aus Samaria sagt Jesus: In dem Moment, in dem er den ausgeraubten Menschen dort hilflos am Boden liegen sieht, da packt ihn das Erbarmen, das Herz krampft sich ihm zusammen, es gibt ihm einen tiefen Stich in die Magengegend. Dass da ein Mensch aus Israel liegt, mit dem Menschen wie er sonst kein Wort reden, das ist ihm völlig egal. Da liegt ein Mensch, der seine Hilfe braucht, der ohne ihn aufgeschmissen ist, der große Schmerzen hat. Vielleicht durchzuckt ihn auch der Gedanke, wie er sich selbst fühlen würde, wenn er da so am Boden liegt.
Es packt ihn das Erbarmen. Sein Herz krampft sich zusammen. Es gibt ihm einen Stich in die Magengegend. Das Wort, das an dieser Stelle in der Bibel steht, ist im Neuen Testament ein sehr seltenes Wort. Es ist schwer, dafür einen deutschen Ausdruck zu finden, der das richtig wiedergibt.
Es bezeichnet sonst immer das, was Jesus tut. Wenn Jesus die Menschen seines jüdischen Volkes sieht, wenn Jesus uns Menschen sieht, dann packt ihn das Erbarmen, dann zieht sich ihm das Herz zusammen, dann gibt es ihm einen Stich in die Magengegend. Weil er genau sieht, was wir brauchen, was wir dringend nötig haben. Es geht ihm durch und durch. Jesus macht sich uns zum Nächsten, zum Menschen, der uns beispringt, der uns hilft.
Das gibt es wahrlich nicht nur in Israel. Das gibt es auch in unsrer Stadt, das gibt es auch unter uns, dass Menschen nicht miteinander reden, dass sie sich aus dem Weg gehen, dass sie vielleicht einfach nicht wissen, wie sie das anstellen sollen, das Wort an den anderen zu richten, von Neuem, zum ersten Mal.
Was hält Dich, was hält mich in einer bestimmten Situation davon ab, dass mich wie Nico das Erbarmen mit dem Menschen packt, der vor mir am Boden liegt? Was hält Dich, was hält mich in einer bestimmten Situation davon ab, dass ich mich von Jesu Erbarmen anstecken lasse, davon, wie sich ihm das Herz zusammen zieht, davon, dass es ihm einen Stich in die Magengrube gibt, wenn er uns zusieht, wenn er Dir zusieht, wenn er mir zusieht.
Mehr braucht es nicht, als dass Jesus uns mit seinem Erbarmen ansteckt. Mehr braucht es nicht, als dass wir uns von ihm helfen lassen. Mehr braucht es nicht, als dass Jesus aus Dir und mir einen Nico macht. Bitten wir ihn darum, dass er es tut, dass er uns zur Hilfe kommt.
Amen