Wichtiger als unsere Angst

2017, 06, 05, Predigt auf dem Mühlenfest in Exter, 1. Mose 11,1-9

Liebe Menschen hier auf dem Mühlenfest, liebe Gemeinde!

Ein bunt zusammengewürfelter Haufen sind wir heute. Sicher nicht annähernd so bunt zusammen gewürfelt, wie die Menschen, die Pfingsten in Jerusalem mit dabei waren.

Die Namen aus all den Ländern, aus denen sie zum jüdischen Wochenfest nach Jerusalem gekommen waren, die haben wir in der Lesung erneut gehört. Auch altersmäßig dominiert eher meine Altersklasse aufwärts nach oben, aber immerhin. Es ist anders, als wenn ich bei uns in der Reformierten Kirche oder auf dem Bonneberg zum Gottesdienst gehe, da weiß ich ungefähr, welche Menschen mich erwarten.

Wenn ich hier zum Mühlenfest komme, ist das anders.

Natürlich hoffe ich auch hier, bekannte Gesichter zu treffen. Aber, da mag es mir, der ich erst seit 23 Jahren ein Vlothoer bin, anders gehen als Ihnen, die Mehrheit hier kann ich zumindest nicht namentlich ansprechen. Wenn ich mich in der Schlange an einem der Essens- und Getränkestände anstelle, dann ist es nicht unmöglich, aber doch eher zufällig, auf keinen Fall aber sicher, dass ich mit meiner Vorderfrau oder meinem Hintermann ins Gespräch kommen werde. Und wenn doch, steht die Frage im Raum: Worüber werden wir reden? Finden wir ein Thema, das uns gemeinsam interessiert, bei dem wir Lust haben, uns eine Weile auszutauschen, oder kommen wir über einige Sätze Small-Talk nicht hinaus.

Bei den Menschen, von denen unser Bibeltext erzählt, ist das anders. Das sind Menschen, die zusammen aufgebrochen, sind zusammen geblieben und haben sich jetzt an ein- und demselben Ort festgesetzt. Das sind Menschen, die zusammen leben und zusammen arbeiten: Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen, Arbeitsgenossen und Arbeitsgenossinnen, wie man früher nicht nur in der DDR gesagt hat. Das sind Menschen, die die gleiche Mundart sprechen, die sich noch auf platt miteinander unterhalten können, die die gleichen Worte verwenden und sich dabei sicher fühlen, dass die andre bei demselben Wort an dasselbe denkt, wie sie das tun.

Der Filmemacher Jean Renoir, der Sohn des Malers Auguste Renoir hat gesagt: Das ist das Gute, wenn Menschen zusammenkommen, die die gleiche Arbeit haben. Egal, ob die aus Honolulu, aus Hiroshima, aus Korogwe, aus Falun oder aus Uffeln kommen, wenn das alles Maurer sind oder Rechtsanwältinnen, dann werden die es viel leichter haben, ein Thema zu finden, was sie gemeinsam interessiert. Und vielleicht werden sie Lust haben, gerade über das zu sprechen, was bei ihnen zu Hause trotz der Gemeinsamkeiten unterschiedlich ist, vielleicht werden gerade sie Lust haben, etwas voneinander zu lernen.

Die Menschen, die sich dort gemeinsam im Tal Schinear an ein und demselben Ort festgesetzt haben, die Menschen, die Ort und Arbeit miteinander teilen, die gut miteinander auskommen und sich blind zu verstehen scheinen, die haben eine große Sorge. Sie haben Angst, sie könnten über das Antlitz der Erde verstreut werden. Komische Angst ist das. Finden Sie nicht, findet Ihr nicht? Steht da etwa eine fremde Armee vor der Tür, die sich anschickt, Ihnen Ihren Wohnort streitig zu machen? Gibt es in ihrer fruchtbaren Talebene nicht genug zu essen und zu trinken, dass sie Angst haben, sie müssten deswegen von dort weg? Mitnichten. Und trotzdem ist sie da,die Angst, auch wenn sie sich wahrscheinlich selber nicht erklären können, woher die kommt. Das ist ja mit unserer eigenen Angst nicht anders. Für andere ist das ein Klacks: vor vielen Menschen zu sprechen, für eine Gesellschaft von 50 Menschen zu kochen; einem anderen Menschen, der ihn/sie verletzt hat, von Angesicht zu Angesicht zu sagen, wie weh das getan hat; einen wildfremden Menschen anzusprechen, um ihn nach dem Weg zu fragen und das auch noch auf englisch; nachts alleine in den dunklen Keller gehen. Aber für Dich ist das alles andere als ein Klacks, für Dich bleibt es eine Horrorvorstellung.

Die Menschen im Tal Schinear, in ihrer Angst über das Antlitz der Erde verstreut zu werden, die sagen, eine Kollegin zu ihrem Kollegen: Lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, der bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen.

Stadt, das bedeutet wahrscheinlich auch Stadtmauern und Torwächter, die kontrollieren, wer künftig hinein darf und wer nicht. Das mit dem Turnbau hat sich bis heute gehalten. Nicht natürlich bei uns in Vlotho mit unserem bescheidenen 9 oder10-stöckigen Rathaus. Aber der Wettbewerb, welches Land, welche Stadt hat den höchsten Wolkenkratzer, der hält an. Ist das schlimm, besorgniserregend, gefährlich? Wer mal in Paris auf der höchsten Plattform des Eiffelturms gestanden hat, der weiß, was für eine grandiose, tolle Aussicht das ist. Bedrohlich für unseren Gott ist das sicher nicht. Diese iese Portion Humor lässt sich der biblische Erzähler nicht nehmen: Unser Gott, der muss erst mal herunterfahren, damit er diesen gewaltigen Turm, den seine Menschlein da gebaut haben, überhaupt zu Gesicht bekommt. Was ist trotzdem so besorgniserregend, aus Gottes Sicht so gefährlich an diesem Turmbauen seiner Menschen?

Vielleicht, dass, wenn Du Deinen Ort von so weit oben siehst, wenn das zu Deiner Normalperspektive geworden ist, die Menschen für Dich von dort oben nicht nur wie Ameisen aussehen, sondern Du in der großen Gefahr stehst, dass Du anfängst, sie auch wie Ameisen zu behandeln, dass es normal ist, dass das halt passiert, dass Du, während Du einen Fuß vor den anderen setzt, schon mal einige von Ihnen zertrittst, unter Deinen Füßen zermalmst.

Oder, etwas anders, mit den Worten von Rabbi Elieser gesagt: Wenn beim Turmbau ein Mensch herunterfiel und dabei umkam, haben sie nicht auf ihn geachtet. Fiel jedoch ein Ziegelstein, so setzten sie sich und weinten: Weh uns! Wann wird ein anderer an seine Stelle hinaufkommen? Das Mittel, die Steine, werden zum Zweck, zum einzigen Zweck, der mehr zählt als ein Menschenleben.

Große Sorge, große tiefsitzende Angst: Lasst uns uns einen Namen machen, dass wir nicht übers Antlitz der Erde zerstreut werden. Exportweltmeister, Fußballweltmeister,Organisationsweltmeister, Weltmeister in Sachen Erinnerungskultur sein. Wer sind wir, was wird aus uns, wenn wir uns keinen Namen machen?

Ist das nicht etwas Schönes, etwas Gutes, wenn es über einen Betrieb, über einen Handwerker heißt: der hat sich einen guten Namen gemacht. Freue ich mich nicht darüber, wenn Leute zu mir sagen: Nein, Pastor Reuter, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie haben auf dem Bonneberg einen guten Namen. Doch das tue ich, ganz bestimmt, tue ich das.

Aber was ist, wenn dann, zwar nicht Dein persönlicher Name, aber doch der Name Deiner Gemeinde wegen Eures Streits auf der Titelseite der Vlothoer Zeitung und kurz danach in der Bild-Zeitung steht. Wie steht es dann um meinen Namen?

Fürchte Dich nicht, ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen: Mein bist Du! Sagt Gott zu den Menschen seines jüdischen Volkes, die seit Jahrzehnten in Babylon im Exil leben und die sich diese Suppe, die sie jetzt auslöffeln müssen, wahrlich selbst eingebrockt haben. Fürchte Dich nicht, ich habe Dich freigekauft, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, mein bist Du, sagt Gott zu Dir und zu mir, jedes Mal, wenn uns die Angst packt, was denn aus unserem Namen werden soll: aus unserem persönlichen Namen, aus dem Namen unserer Gemeinde, aus dem Namen unserer Stadt.

Gott weiß nur zu gut, wozu wir fähig sind. Ihm steht so viel klarer vor Augen, was wir in der Angst um unseren Namen alles anrichten können und tatsächlich auch anrichten, .Deshalb geht er so hart vor, deshalb beschließt er, von vornherein den Anfängen zu wehren: deshalb vermengt er die Sprache seiner Menschen so dass das Schlimme passiert, dass ein Genosse seine Genossin nicht mehr versteht, eine Kollegin nicht mehr ihren Kollegen. Deshalb sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Stadt und ihren Turm weiterzubauen. Deshalb trifft genau das ein, wovor sie sich so gefürchtet haben: dass sie über das Antlitz der Erde verstreut werden.

Auch uns in unserem kleinen Vlotho hat uns diese Wirklichkeit längst eingeholt. Auch in Vlotho wird schon seit Ewigkeiten nicht mehr nur ostwestfälisches Platt gesprochen. Und das liegt wahrlich nicht nur an den 400 geflüchteten Menschen, die in unserer Stadt Gott sei Dank einen Ort gefunden haben, an dem sie sich vorerst mal sicher. Wir leben auch in Vlotho in einem globalen Dorf, an einem Ort, an dem so viel mehr als eine Sprache gesprochen wird

Vielleicht, dass wie so oft im Leben, so auch im Blick auf die Grenzen, die uns unsere verschiedenen Sprachen ziehen, Segen und Fluch ganz eng beieinander liegen. Grenzen lassen sich nicht folgenlos ignorieren, aber Grenzen können überschritten werden. Sie machen uns darauf aufmerksam, dass das nicht von selbst geht, dass man das wollen muss, dass Gott uns den Mut schenken muss, uns auf dieses Wagnis einzulassen.

In jedem Fluch steckt auch ein Segen. Wenn es darum geht, das ein Mann seine Frau, eine Schwester ihren Bruder, ein Kollegin seine Kollegin, ein hier Geborener eine zu verstehen versucht, die neu an diesem Ort ist, dann ist es ein Segen, wenn wir uns unserer Sache nicht zu sicher sind, wenn wir ein klares Bewusstsein darüber haben, wie viel leichter es ist, sich misszuverstehen, aneinander vorbeizureden, als einander zu verstehen.

Dann ist es gut, wenn wir uns im Klaren sind, etwas wie Kostbares es ist, dass die Mühe sich in jedem Fall lohnt, es zu lernen, mit den Augen, mit dem Herzen der anderen zu sehen, und vielleicht auch mit den Worten seiner Sprache zu sprechen.

Gottes Heiliger Geist, der uns heute am Pfingstfest aufs Neue zugesprochen wird, der macht das Ganze nicht rückgängig. Er hebt unser Sprachgemisch nicht auf. Er erspart uns nicht die Mühe, die es kostet, uns einander in dem, was wir den anderen gerne sagen möchten, verständlich zu machen. Aber er vollbringt das Wunder, dass jeder die Apostel in seiner eigenen Sprache von Gottes großen Taten reden hört. Nichts weniger als dieses Wunder brauchen wir. Nichts haben wir nötiger als diesen Geist. Und deshalb lasst uns flehentlich darum bitten: Komm, heiliger Geist, erfülle unsre Herzen! Tritt ein in unsere Mitte!

Amen

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