2017, 05, 28, Wen dürstet, der komme und trinke!

Predigt über Joh 7,37-39

Liebe Gemeinde!

Wonach hast Du Durst? Wonach hast Du am allermeisten Durst? Welcher Durst ist für Dich am dringlichsten, am lebensnotwendigsten? Speziell heute, besonders in diesen Tagen, in diesen Wochen, oder schon seit langer Zeit? Was es wirklich bedeutet, wenn kein Wasser da ist, wenn die Panik in Dir hochsteigt, dass Du verdursten wirst, wer von uns in Westeuropa kann sich das vorstellen? Wer kann ermessen wie schrecklich das ist. Ich kann das nicht, da kann das Thermometer heute noch so weit über 30 Grad klettern, ich hab das in meinem Leben bisher nicht ansatzweise erfahren müssen. Aber Jesus spricht nicht einfach von Durst nach Wasser, das unsere aufgesprungenen Lippen benetzt. Er spricht von Deinem und meinem Durst nach Leben.

Tut Lebensdurst genauso weh wie der Durst nach einem Schluck Wasser, der den Körper vorm Verdursten rettet? Körperlich tut es bestimmt nicht so weh. Aber in der Seele. Sind seelische Schmerzen weniger schlimm? Blöde Frage! Beides ist schlimm: Der Durst nach Wasser und der Durst nach Leben?

Ich frage also noch mal: Was ist Dein brennendster Durst im Leben? Welcher Durst quält Dich am meisten? Dein Durst danach, dass jemand auf Dich zukommt, sich Zeit für Dich nimmt, sich für Dich interessiert, Dir Fragen stellt, Dir zuhört, ohne Dir mit voreiligen Ratschlägen zu kommen?

Ist das, was Dich quält, Dein Durst nach Zärtlichkeit, danach, dass Dich jemand in den Arm nimmt, jemand der Dich liebhat, nach dem Du Sehnsucht hat, jemand, der es nicht nur auf Deinen Körper abgesehen hat?

Ist es Dein Durst danach, Erfolg zu haben? Ist es Dein Durst, ernst genommen zu werden, in der Schule, auf der Arbeit, bei der ARGE, in Deinem Freundeskreis?

Ist es der Durst, Deine quälenden Geldsorgen in den Griff zu kriegen? Dein Durst, so viel Geld zu haben, dass Du Dir den Urlaub leisten kannst, von dem Du so lange träumst? Oder

die Klamotten kaufen zu können, in denen sich endlich mal jemand nach Dir umdreht?

Ist es der Durst danach, dass jemand ein Mittel gegen Deine Angst weiß, gegen Deine Panikattacken, gegen Deine bohrenden Zweifel, ob es Gott wirklich gibt, ob er tatsächlich helfen kann, ob er wirklich stärker ist als der Tod?

Ist es der Durst danach, dass der Mensch Dir endlich vergeben möge, an dem Du schuldig geworden bist? Der Durst danach, dass Du es endlich fertig bringst, zu vergeben, was Dir angetan wurde? Der Durst danach, dass Du endlich locker lassen könntest und nicht mehr so unbarmherzig hart mit Dir selbst ins Gericht gehst?

Oder hast Du es irgendwie geschafft, Dir Deinen Durst abzugewöhnen, Dich mit anderen Dingen von ihm abzulenken, ihn zu beschwichtigen, klein zu reden? Hast Du es Dir selber verboten: Nein, so einen Durst dürfte ich gar nicht empfinden?

Jesus kennt Deinen und meinen Durst. Er hat ihn von Anfang an bemerkt, auch wenn Du nicht darüber gesprochen hast, auch wenn außer Dir niemand sonst etwas darüber weiß. Jesus redet Deinen und meinen Durst nicht klein. Er denkt gar nicht daran, ihn zu beschwichtigen.

Er stößt uns mit der Nasenspitze darauf. Er bietet sich an, unseren Lebensdurst zu löschen. Er hat sich den dafür medienwirksamsten Ort und Zeitpunkt ausgesucht. Es ist der Höhepunkt des Laubhüttenfests. Wie jedes haben die Menschen in Israel aus Zweigen und Blättern eine Laubhütte an oder um ihr Haus gebaut. Das Dach ist nur notdürftig bedeckt. Es ist wichtig, dass man nachts den Sternenhimmel sehen kann. Während der Festwoche verbringen die Menschen so viel Zeit wie möglich in ihrer Laubhütten. Sie denken an die Zeit, in der Gott ihre Vorväter und Vormütter aus der Sklaverei in Ägypten gerettet hat, an die Zeit, als sie jahrelang durch die Wüste gezogen sind, in Zelten, ohne festen Wohnsitz. Sie wollen sich erinnern. Sie wollen nicht vergessen, dass wir in unserem Leben hier keine bleibende Stadt haben. Sie wollen nicht vergessen, dass Gott auch in der Wüste, am unbehausten Ort da ist und bewahrt und vor dem Sterben rettet. Er hat sie in der Wüste vor dem sicheren Tod durch Verdursten bewahrt, indem er Mose befohlen hat, Wasser aus dem Felsen zu schlagen.

Am Höhepunkt des Laubhüttenfests wird in Jerusalem aus der Schiloachquelle Wasser geholt und zum Tempelbrunnen gebracht, damit sie dort frisches Wasser schöpfen können. Das ist den Menschen ein sichtbares Zeichen: der Gott Israels gibt seinem Volk das Wasser, das es zum Leben braucht. Der Gott Israels stillt den Durst seines Volkes. Diesen Zeitpunkt hat Jesus abgepasst. Einen günstigeren Zeitpunkt hätte er nicht finden können.

Jesus steht auf. Er ruft mit lauter Stimme, er schreit fast: Wen dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer mir vertraut, wie die Schrift sagt: Ströme lebendigen Wasser werden aus seinem Leib fließen.

Jesus hat für seinen Auftritt Ort und Zeit optimal gewählt. Aber: er steht mit dem, was er ruft, allein auf weiter Flur. Da sind keine Fernsehkameras auf ihn gerichtet, die Bild und Ton in die entferntesten Winkel des Landes transportieren werden.

Jesus hat nichts anderes anzubieten als sich selbst, seine eigene Person. Er hat nur sich selbst und seine Stimme, um sich Gehör zu schaffen und zu uns durchzudringen, um unser Herz zu erreichen und unser Vertrauen zu gewinnen. Jesus ist ganz auf sich allein gestellt. So, wie er das bald am Kreuz sein wird, wenn er selbst mit ausge-trockneten Lippen nach einem Schluck Wasser dürsten wird, gehalten nur durch die Verbindung zu seinem Vater im Himmel, der ihn gesandt hat und der dort am Kreuz so weit weg scheint.

Aber die Stimme Jesu, wir haben sie gehört. Sie steht im Raum. Es ist schwer, so zu tun, als ob wir sie nicht gehört hätten. Wen dürstet, der komme zu mir und trinke!

Wie reagieren wir Menschen des 21. Jahrhunderts auf diese Stimme? Sie mit der Maus oder der Fernbedienung wegklicken geht nicht. Diese Stimme kommt nicht aus dem Internet, sie erreicht uns nicht über den Fernsehbildschirm? Reagieren wir mit unserer gewohnten Skepsis: Na, was soll uns da schon wieder versprochen werden und auch noch umsonst, da kann ja was nicht stimmen? Ist das auch bei Jesu Stimme Dein erster Gedanke? Wo ist der Haken? Wo steht das Kleingedruckte, das ich nicht überlesen darf, um nicht übers Ohr gehauen zu werden?

Es gibt kein Kleingedrucktes, es gibt nur diese laute, einsame Stimme, die mich zu sich einlädt: Wen dürstet, der komme zu mir und trinke!

Was wirst Du tun, Jesus, mit meinem Durst nach Leben? Was wirst Du tun, um ihn zu stillen? Du sprichst von Strömen lebendigen Wassers, die von meinem Leib fließen sollen. Ströme lebendigen Wassers klingt gut, und es klingt gefährlich. Ströme, die mich mit sich reißen, raus aus meiner Starre, weg von meiner Angst, weg von mir selbst! Aber wohin werden mich diese Ströme treiben. hin zu den anderen, hin zu dir? Werde ich darin schwimmen können, ohne unterzugehen?

Was wirst Du tun, Herr, um meinen Durst zu stillen? Ich habe beim Schreiben der Predigt erst mal versucht, diese Frage für mich zu beantworten. Bei all den Sätzen, die ich gleich sagen werde, stand zunächst meine eigene Person als Objekt. Ich möchte, dass Sie, das ihr das wisst, dass Ihr das nicht vergesst. Aber ich glaube, es ist richtiger, wenn ich jetzt trotzdem zum Du wechsle:

Was tut Jesus, um Deinen Durst zu stillen:

Er kommt zu Dir, er sucht Dich da auf, wo Du bist. Er spricht Dich an: durch eine alte Frau vor den Regalen im Supermarkt, die zu Dir sagt: Sie sehen aber müde aus. Er setzt sich zu Dir und hört Dir zu. Er hat keine Eile, er hat Zeit, er springt nicht nach ein paar Minuten auf, weil er zurück an seinen Schreibtisch muss, weil ihm selber der Kopf so voll steht.

Er redet Deine Angst nicht klein, denn er kennt ihr Ausmaß und ihre Wurzeln. Aber Deine Angst wird kleiner, während er Dir zuhört und Dich weiter reden lässt.

Er sagt Dir, dass er sich Deiner nicht schämt, wenn Du Dich vor den anderen und vor Dir selber schämst. Er verharmlost Deine Schuld nicht, aber er stellt sich zwischen Dich und die, die Dich anklagen. Er bringt sie dazu, dass sie die Steine, die sie schon auf Dich schleudern wollten, wieder fallen lassen.

Er verbietet es Dir, er wird unwillig, wenn Du nicht damit aufhörst, Dich selbst einen Versager zu nennen. Er verbietet es Dir, Dich klein zu machen. Er macht Dich aufmerksam darauf, wie reich Du bist, auch wenn Dein Konto im Minus ist. Er zeigt Dir die Gaben, die Gott Dir anvertraut hat. Und wenn Du schon wieder dazu neigst, die Gaben zu vergessen, die Gott Dir geschenkt hat, dann schickt er Dir zu gegebener Zeit andere Menschen, die Dich an Deine Gaben erinnern und Dir sagen, worin sie bestehen.

Mag sein, dass Dir meine nächste Formulierung im ersten Moment widersinnig finden wirst, aber ich meine sie genau so: Jesus stillt Deinen Durst nach Leben, in dem er nie, niemals auf Deine Eitelkeit hereinfällt. Er stillt Deinen Durst nach Leben, indem er sich Deinen Allmachtsanfällen widersetzt. Er weiß, dass Du Dir das wünschst, dass Dich alle bewundern sollen, dass Du sie alle beeindrucken willst. Aber noch besser weiß er, was für ein Gift das für Dich wäre, wenn das tatsächlich passieren sollte. Und deshalb gibt er Dir in diesem Punkt nicht nach. Er holt Dich auf den Teppich. Er rettet Dich davor, an Deiner Sucht, der Größte, die Größte sein zu wollen, zugrunde zu gehen.

Jesus stillt Deinen Lebensdurst, indem er Dir Brüder und Schwestern an die Seite stellt, ältere und jüngere und gleichaltrige. Wie das mit Geschwistern nun mal so ist, Du hast sie Dir nicht ausgesucht. Sie gehören zu Dir, weil sie zu Jesus gehören und weil er, Jesus, ihnen gehört. Sie sind sehr verschiedene Menschen, gebildete und einfache Leute, Menschen voller Energie und abgekämpfte Menschen. Sie trösten Dich und muntern Dich auf. Sie nerven und streiten sich mit Dir. Sie nehmen Dich in Anspruch und brauchen Deine Hilfe. Sie springen für Dich ein. Sie nehmen Dir Arbeit ab und sie beten für Dich. Ohne die Geschwister, die Jesus Dir an die Seite stellt, ginge Deinem Glauben in Nullkommanichts der Atem aus. Ohne sie, wäre Jesus nicht der, der er für Dich ist. Ohne sie würdest Du in Nullkommanichts der Gefahr erliegen, Dir Jesus nach Deinen eigenen Vorstellungen zurecht zu basteln. Du würdest ihn ganz schnell zu einem blassen, unwirklichen Götzenbild verzerren.

Jesus stillt Deinen Lebensdurst, indem er Dich daran hindert, weiter in einem fort um Dich selbst zu kreiseln. Er erzählt Dir von dem, was ihm wichtig ist. Er erzählt Dir von den Menschen, die ihm auf der Seele liegen, die er nicht verloren gibt, die er anders als Du noch lange nicht abgeschrieben hat. Er erzählt Dir von Gottes Reich, das er bringt, das nicht aus dieser Welt stammt, aber das nirgendwo anders als hier unter uns wachsen soll.

Jesus antwortet auf unseren Durst nach Leben damit, dass er verspricht, seinen Geist zu uns zu senden. Seinen Geist, den wir nicht sehen, den wir nicht fassen, nicht festhalten, den wir nicht für uns pachten und nicht einsperren können, schon gar nicht in unsere Kirche, und der so real und spürbar und in seinen Wirkungen so heftig ist wie der Wind, den wir auch nicht sehen, aber der durch unsere Haare fährt und unsere Haut streichelt, und uns ins Gesicht bläst und uns Rückenwind gibt und Häuser zum Einsturz bringt.

Jesus verspricht uns seinen Geist, der macht, dass auch aus unseren sterblichen Leibern Ströme lebendigen Wassers auf andere fließen. Jesus verspricht uns seinen Geist, der mehr will und mehr mit uns vor hat, als wir selber im Sinn haben, und der sich noch lange nicht zufrieden gibt, wenn wir uns zufrieden geben,

Denn Jesu Geist, der Heilige Geist, der weiß, wie viel noch fehlt an Gottes Reich. Er kennt das ganze Ausmaß dessen, was uns noch fehlt. Er wird nicht ruhen, bis er dem Mangel abgeholfen, bis er Gottes Reich vollendet hat.

Amen

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