Predigt Karfreitag, 14.4.2017, Lk 23,33-49

Liebe Gemeinde!

Nun liegen auch die letzten Meter bis zur Hinrichtungsstätte hinter ihnen. Sie sind angekommen an dem Ort, der Jesus im Garten Gethsemane den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hat. Eine Menge Menschen sind da: Die römischen Soldaten, die jetzt ihre Henkersarbeit beginnen, die Jesus die Kleider ausziehen. Nackt wird Jesus die Blicke der Menschen ertragen müssen, die ihm beim Sterben zusehen, während die Soldaten seine Kleider unter sich verlosen.

Die beiden Gewaltverbrecher, die gemeinsam mit Jesus hingerichtet werden, der niemandem Gewalt angetan hat. Die Menschen aus dem Volk, die sich das alles ansehen. Niemand außer Gott weiß, was in ihren Köpfen vor sich geht.

Die jüdischen Ältesten sind da. Sie waren an Jesu Verhaftung beteiligt. Sie haben mit dafür gesorgt, dass er an Pilatus ausgeliefert wird. Sie haben Jesus jetzt dort, wo sie ihn haben wollten. Sie lassen es Jesus mit ihrem Spott spüren. Die römischen Soldaten lassen sich von ihrem Spott anstecken und tun es ihnen gleich.

Alle, mit denen Jesus bekannt war, sind da. Die Frauen, die ihm nachgefolgt sind, die ihn begleitet haben, von seiner galiläischen Heimat bis jetzt nach Jerusalem. Sie sagen nichts. Sie mischen sich nicht ein. Sie sehen aus der Ferne zu, was mit Jesus passiert.

Eine Menge Menschen sind da, als Jesus nackt am Kreuz seinen Todeskampf kämpft. Und doch ist Jesus allem Augenschein nach völlig allein. Er ist der Gewalt seiner Feinde ausgeliefert: der Gewalt, die ihn an die Holzbalken fesselt, der Gewalt der Worte. Es ist ihm unmöglich, sich die Ohren zuzustopfen.

Einer bleibt ihm, mit dem er reden kann, das ist sein Vater im Himmel.

Was machst Du, wenn Du Dich ausgeliefert fühlst, ohnmächtig? Was machst Du, wenn Dir Gewalt angetan wird? Körperliche Gewalt: wenn Du geschlagen wirst? Wenn Du festgehalten wirst und Du kannst Dich nicht losreißen. Was machst Du, wenn Du mit Worten verletzt wirst, die Dich treffen wie ein Schlag ins Gesicht, die Du nicht wieder loswirst, weil sie so tief in Deine Seele hineingeschnitten haben?

Was tust Du: Rastest Du aus? Versuchst Du, um Dich zu schlagen? Bekommst Du eine Panikattacke? Brichst Du innerlich zusammen? Fängst Du an zu zittern?

Betest Du in solchen Situationen? Und wenn ja, was betest Du? Schreist Du Gott um Hilfe an? Verfluchst Du die anderen vor Gott, dass Sie Dir so weh getan haben? Flehst Du Gott an, dass er sie einmal den Schmerz empfinden lässt, den Du empfindest, dass Sie wenigstens einmal am eigenen Leib empfinden, wie beschämend das ist, so wehrlos zu sein?

Jesus, Gottes eingeborener Sohn, den Menschen ausgeliefert, die ihn nicht in ihrer Mitte ertragen können, betet. Noch wenige Stunden vorher, im Garten Gethsemane, hat er Gott um Hilfe angefleht: Vater, wenn Du willst, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen! Aber nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Heftig und aufgewühlt hat Jesus bei seinem Vater um die Kraft gekämpft, dazu er zu dem, was der Vater im Himmel will, „Ja“ sagen kann.

Jetzt, am Kreuz, betet Jesus anders, sehr anders. Zwei kurze Sätze hat uns der Lukasevangelist überliefert. Gleich zu Beginn seines über drei Stunden währenden Kampfes mit dem Tod bittet Jesus den Vater im Himmel: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. IN diesem Moment bittet Jesus nicht mehr für sich selbst. Er bittet den Vater im Himmel nicht mehr darum, ihn vor dem schrecklichen, qualvollen Tod am Kreuz zu bewahren. Er bittet für alle, die ihm das antun: er bittet für die jüdischen Oberen, für Pilatus, für die römischen Soldaten, die bei der Hinrichtung die Drecksarbeit erledigen. Er bittet für die, die ihn ausgepeitscht und angespuckt haben, für die, die jetzt innerlich triumphieren, für die, die ihn in seiner Wehrlosigkeit noch mit beißendem Spott quälen.

Er bittet für die, die dabei sind, ohne sich irgendwelche Gedanken zu machen, für die, die tatenlos zusehen, für die, die sich nicht trauen, ihren Mund aufzumachen. Er bittet auch für die, die abgehauen sind, die ihn im Stick gelassen haben, er bittet für Petrus und alle anderen, die ihn verleugnet haben, für Judas, der ihn verraten hat. Jesus bittet am Kreuz für Dich und für mich,

für uns Halbherzige, für uns streitsüchtige Besserwisser, für uns Stolze, die unbedingt alles aus eigener Kraft schaffen wollen, für uns kleingläubige Fromme, wenn wir die Welt, für die Jesus sein Blut vergießt, so leichtfertig verloren geben.

Jesus am Kreuz

Jesus bittet nicht für sich selbst, er bittet für seine Feinde, er bittet für uns, dass Gott uns vergibt, unsere Taten und unsere Untaten, unserer Weigerung etwas, das in seinen Augen Richtige zu tun, das was heilsam ist.

Segnet, die euch verfluchen, tut wohl denen, die Euch verfolgen, das ist Jesu ausdrückliches Gebot. Das er uns mit auf den Weg gegeben hat. Stephanus aus der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem, der als erster für sein Bekenntnis zu Jesus gestorben ist, der hat ganz ähnlich gebetet, als er zu Tode gesteinigte wurde und der Christenverfolger Paulus zugesehen und sich die Hände gerieben hat.

Daran besteht kein Zweifel, das ist Jesu größter Wunsch, seine größte Freude, wenn wir für die, die uns das Leben so schwer machen, ähnlich beten, wie Jesus das auf Golgatha getan hat, nicht nur einmal, nicht nur in den Extremsituationen, sondern Tag für Tag.

Aber wie können wir das? Woher sollen wir die Kraft dazu nehmen? Woher nehmen wir die innerliche Freiheit dazu, wenn wir nicht Tag für Tag damit anfangen, wenn wir nicht täglich bei Jesu Worten beginnen, sie in uns aufnehmen, sie uns gefallen lassen, sie als sein Geschenk aufnehmen, als Geschenk an seine Welt, als Geschenk an uns selbst.

Jesus am Kreuz, nackt, den Menschen ausgeliefert, betet für seine Feinde, für die, die ihm das antun, und für die, die ihn so schmerzlich im Stich lassen, dass Gott ihnen das nicht anrechnet, dass er ihnen das vergibt.

Aus diesem Gebet Jesu leben wir, aus diesem Gebet Jesu lebt unsere Welt. Aus allen Gebeten, die von dieser Liebe angesteckt sind, lebt unsere Welt. Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Wie kann Jesus sagen, dass die Menschen, die ihn ans Kreuz gebracht haben, die jetzt unter seinem Kreuz stehen, ihm beim Sterben zusehen und ihn verspotten, nicht wissen, was sie tun?

Stimmt das denn? Was meint er damit?

Wissen wir, wenn wir Jesus verleugnen, wenn wir uns schämen, wenn wir Angst haben, als die Seinen erkannt zu werden, nicht, was wir tun? Wissen die Menschen, die die Bomben mit den Metallsplittern vorbereitet haben, die den Mannschaftsbus des BVB getroffen haben, nicht, was sie tun?

Wissen wir, wenn wir unserem Hass freien Lauf lassen, wenn wir mit Worten zurückschlagen, weil wir selbst uns so verletzt fühlen, nicht was wir tun? Wissen wir nicht, was wir tun, was wir anrichten, wenn wir Urteile über andere fällen und sie als feststehende Tatsachen ausgeben, nicht was wir tun, was wir den anderen damit antun, was wir selbst uns damit antun?

Wissen wir nicht, was wir tun, wenn der Neid, wenn die Eifersucht an uns frisst, wenn wir uns in unserem Verhalten, in unseren Gefühlen von ihnen leiten lassen. Wissen wir, was wir tun, wenn die Angst an uns hoch kriecht, wenn sie dabei ist, uns in den Griff zu bekommen? Was sind wir ohne die Worte Jesu, für den es sterbend nichts Wichtigeres gibt, als für seine Feinde, für diese Welt, für uns zu beten: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun?

Durch die verschiedenen Lästerungen, die der sterbende Jesus am Kreuz mit anhören muss, zieht sich als ein roter Faden der spöttische Vorwurf: Anderen hat er geholfen. Wenn er der Messias, wenn er wirklich der Auserwählte Gottes ist, dann soll er vom Kreuz herunter steigen und sich selber helfen.

Ob Jesus vorrangig daran denkt, wenn er betet: sie wissen nicht, was sie tun. Sieht er seine Feinde, sieht er uns als Menschen an, die deshalb nicht wissen, was sie tun, weil sie Jesus so gründlich missverstehen:

Sieh zu, wo Du bleibst. Rette als erstes deine eigene Haut! Kümmere Dich als erstes um Dich selbst, und wenn Du das in trockenen Tüchern hast, dann kannst Du Dich um andere kümmern. Ist doch das, was jeder eingetrichtert bekommt, der schon mal mit dem Flugzeug geflogen ist: bei plötzlichem Druckabfall als allererstes sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen und sich dann um die anderen kümmern. Ist doch logisch? Macht doch Sinn?

Ist wirklich nicht so leicht zu begreifen, dass diese einleuchtende Logik bei Jesus nicht greift. Jesus ist nicht von Gott gesandt, um seine eigene Haut zu retten. Jesus ist nicht gekommen, um sich selber zu retten. Jesus ist bereit, diesen qualvollen Tod zu sterben, sich verhöhnen und verspotten zu lassen, um uns zu retten. Er ist bereit, die Brücke zu schlagen, die wir abgebrochen haben. Er ist bereit, sterbend den ersten Schritt über die trennenden Gräben zu tun, zu dem wir die Kraft und den Mut nicht finden.

Jesu Sauerstoffzufuhr, dass ist die Liebe, die ihn auch in diesen schwersten Stunden seines Lebens mit Gott verbindet. Sie ist keine Maske, die er sich aufsetzen muss. Sie ist das, was ihm seit jeher, die Kraft zum Atmen gibt. Seine Sauerstoffzufuhr, das ist die gemeinsame Liebe des Vaters und des Sohnes, die den Sünder nicht verloren gibt. Diese Liebe, dass muss sich in diesen finsteren Stunden, in denen die Sonne ihren Dienst verweigert, erweisen, traut es sich zu, stärker zu sein als der Hass, der ihr entgegenschlägt, stärker als die Missverständnisse, denen sie sich aussetzt. Sie ist eine Liebe ohne doppelten Boden, ohne Absicherung, mit nichts in der Hinterhand, mit nichts als dem Rückhalt, als der Kraft, die der eine an dem anderen findet.

So sucht die Liebe zwischen Jesus und seinem Vater sich ihren Weg zu uns Menschen, traut es sich zu, unsere Gefühllosigkeit zu überwinden, unsere Kälte, unsere Abgestumpftheit. Sie traut es sich zu, es mit unserer Angst aufzunehmen, mit unser Lebensangst, mit unsere Angst vor dem Leben, vor den tausend Unsicherheiten, die es mit sich bringt.

Sie traut es sich zu, es mit unserer Angst vor dem Sterben müssen aufzunehmen, mit unserer Angst voreinander, mit unserer Angst, vor dem, was wir an der anderen nicht verstehen,mit unserer Angst vor dem, was uns an dem anderen fremd bleibt.

Die Liebe zwischen Jesus und seinem Vater traut es sich zu, es mit unserer Angst vor dem aufzunehmen, was uns an unserem Gott fremd bleibt.

Die Liebe zwischen Jesus und seinem Vater findet inmitten der Finsternis von Golgatha eine erste Frucht bei dem einen der Gewaltverbrecher, die gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden. Er wagt es, seinem lästernden Genossen ins Wort zu fallen: Fürchtest Du nicht Gott? Wir wissen, warum wir an dieses Kreuz geschlagen wurde. Aber es gibt nichts, was dieser getan hat, warum er gemeinsam mit uns hier hängt.

Und er findet den Mut, sich direkt an Jesus zu wenden, den Chor der Lästerer zu durchbrechen und Jesus zu bitten: Gedenke an mich, Herr; wenn Du in Dein Reich kommst. Er bittet nicht vergeblich. Denn er bekommt aus dem Mund des sterbenden Jesus die tröstenden Worte zu hören, auf die er wohl kaum gefasst war: Amen, ich sage dir, heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.

Als dann der Tempel im Vorhang zerreißt und der Blick auf das Allerheiligste schurzlos vor den Augen der Menschen freiliegt, da betet Jesus ein letztes Mal. Mit den alten, vertrauten Worten des 22. Psalms haucht er sein Leben aus und legt es zurück in die Hände dessen, der es ihm gegeben hat, auf dass er es an uns verschenkt:

In deine Hände befehle ich meinen Geist.

Amen

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