Liebe Gemeinde!
Gott traut es sich zu, seine Menschen zur Umkehr zu bewegen, noch immer, an jedem Tag aufs Neue, alle seine Menschen, also auch Dich und mich und die Menschen, mit denen wir es zu tun haben. Ob wir verstehen, wie groß dieses Geschenk ist, dass Gott das tut, dass er sich diese Last auf seine Schultern bürdet? Wohl kaum. Aber auch, wenn wir nicht mehr als einen blassen Schimmer davon haben, was Gott sich selbst mit dieser Aufgabe zumutet, reicht dieser blasse Schimmer nicht alle Male aus, um fröhlich Buß- und Bettag zu feiern? Weißt Du einen anderen, einen stärkeren Antriebsmotor, der Dich und mich zur Umkehr treibt als Gottes Güte, als seine Langmut, als seine Geduld?
Ob die Dinge, die wir tun, böse sind, das lässt sich nur bedingt an unseren Absichten ablesen. Wenn Deine Absichten schon böse sind, klar, dass dann am Ende kaum was Gutes dabei herauskommt. Wenn Du Deinen Freund, Deine Freundin oder wen auch immer mit voller Absicht verletztest, sei’s weil Deine sadistische Ader mit Dir durchgeht, sei’s weil Du der Versuchung, Deine Schadensfreude zu zeigen einfach nicht widerstehen konntest, sei’s weil Du Du das Gefühl hast, dem anderen, der anderen, so richtig eine zu verpassen, damit sie begreifen, wie sehr sie Dich verletzen haben, da wirst Du Dich nicht allzu sehr darüber wundern, dass Ihr durch eine solche Aktion beide nicht glücklicher werdet.
Wenn Du Deinen morgendlichen Frust über Deine Lehrerin oder Deinen Arbeitskollegen nachmittags an Deinen Geschwistern oder Deinem Mann auslässt, wirst Du schon selber damit rechnen, dass sie Dir dafür nicht um den Hals fallen werden.
Aber auch wenn Du eine Sache in der Überzeugung anpackst, dass Deine Absichten gut sind, kann es trotzdem sein, dass Du böse handelst. Es kann zum einen sein, dass Du Dich in Deinen guten Absichten täuschst. Es kann sein, dass sich da einiges an Eitelkeit, Besserwisserei, gekränktem Stolz, von Gefühlen der Verletztheit unter Deine guten Absichten gemischt hat, über die Du Dir selber nur nicht im Klaren bist, die aber die anderen deshalb weniger deutlich wahrnehmen und entsprechend reagieren.
Aber es kann sogar passieren, dass Du Dir endlich ein Herz nimmst, nachdem Du das solange vor Dir herschoben hast, und zu jemandem hingehst, um sie oder ihn um Entschuldigung zu bitten für das, was Du getan hast, und am Ende Eures Gesprächs müsst Ihr zu Euer beider Erschrecken feststellen, dass es zwischen Euch durch das Reden eher noch schlechter als besser geworden ist.
Ob wir böse handeln, stellt sich vielleicht am deutlichsten an den Folgen raus, die unser Handeln hat.
Trübsal und bedrängende Enge auf den Menschen, der das Böse tut. Das ist es, was Gott keiner Menschenseele gönnt: Trübsal, bedrängende Enge, aussichtsloser, nicht enden wollender Streit. Deshalb möchte er es so gerne, deshalb hofft er darauf, dass wir umkehren. Deshalb trägt er uns, die Gefäße, die er geschaffen hat, in solcher Langmut. Deshalb bürdet sich Gott diese Last auf, uns ur Umkehr zu bewegen. Deshalb ist Gottes Wort in Jesus Christus Fleisch geworden. Deshalb hat Jesus uns den Vater im Himmel vor Augen gemalt, in allem, was er über ihn erzählt, in allem, wie er unter uns gelebt hat.
Jesus hat sich nicht um seine Ehre gesorgt, er hat seine Ehre seinem Vater im Himmel anheim gestellt. Jesus hat sein Leben nicht darauf konzentriert, um sein Recht zu kämpfen, geschweige denn darauf, sei n Recht mit
Zwangsmitteln gegen uns durchzusetzen. Jesus hat darum gekämpft, das Herz derer zu gewinnen, die ihm gegenüber so tief im Unrecht sind, die ihn verhöhnen, die um ihre Macht fürchten, die Freude an seinen Qualen haben, die ihn der Lüge bezichtigen, indem sie falsche Behauptungen über ihn aufstellen, die sich aus Angst um ihr Leben von ihm lossagen. Er ist den schmachvollen Tod am Römerkreuz gestorben. Er hat am Kreuz mit der Anfechtung gekämpft, vom Vater im Himmel verlassen zu sein. Und hat sich doch einen Dreck darum geschert, was jetzt die anderen über ihn denken.
Er war bereit, für uns zu sterben, weil wir aus eigener Kraft nicht aus den bösen Wegen herausfinden, in die wir uns verstrickt haben. Er war bereit für uns zu sterben, damit wir Vertrauen zu ihm fassen, damit wir den Mut fassen, umzukehren. Der Vater im Himmel hat sich zu dem bekannt, der unter die Verbrecher gezählt wurde. Der Tod hat ihn nicht länger als drei Tage lang festhalten können.
Weißt Du nicht, dass es Gottes Güte ist, die Dich zur Umkehr treibt? Weißt Du nicht, dass der, der seine Ehre aufs Spiel gesetzt hat, es auf Dein Herz abgesehen hat. Wie weit ist Jesus bei Dir und mir schon damit gekommen? Wie weit hat unser Drang, über die anderen zu richten und zu urteilen, uns weiterhin im Griff. Wie oft ist Jesus über unser störrisches Herz verzeifelt.
Ach wenn die anderen doch nur anfangen würden, die Dinge so zu sehen, wie ich sie sehe, dann wäre alles gut, oder zumindest doch erheblich besser, friedlicher, angenehmer, offener, herzlicher, weniger verbissen, nicht so engstirnig.
Und der gütige Gott, dessen Langmut wir ein ums andere Mal auf die Probe stellen, fragt Dich und mich: Bist Du bereit, umzukehren? Bist Du bereit, von dem Bösen zu lassen und zu versuchen, das Gute zu tun? Was hält Dich davon ab, Dir von mir die Kraft dazu zu erbitten? Nicht, dass er den Anderen, die Andere, nicht das Gleiche fragen würde. Aber das kann im Moment, in dem Gott mich fragt, nur ein Ausweichmanöver sein, nichts, was mich weiterbringt.
„Was hält Dich davon ab, Deine gekränkte Eitelkeit mir zu überlassen, Deinen angeknackten Stolz?“ fragt Jesus. „Was hält Dich davon ab, Dir von mir in Deinem Schmerz um Deine verletzte Ehre beistehen zu lassen? Was hindert Dich daran, mir zu glauben, dass Deine Ehre bei mir in den besten Händen ist. Menschen sind in der Lage Deine Würde anzutasten und zu gefährden, das ist wahr und das ist schlimm. Aber kein Mensch kann Dir die Ehre nehmen, die ich für Dich erkämpft habe, kein Mensch wird mich darin hindern, Dich mit meiner Liebe zu ehren. Du bist nie und niemals ein Nichts. Du bist kein Versager. Mein bist Du.
Indem Du den anderen richtest, richtest Du Dich selbst, indem Du dasselbe tust, was Du an dem anderen richtest. Auf den ersten Blick hört sich das so an, als ginge es in „nur“ um das Problem, dass Du Dich lächerlich, unglaubwürdig, machst, wenn Du dasselbe, was Du an anderen verurteilst, selber auch tust. Also, Du wirfst Deinem Nächsten vor, dass er, sie Dich belogen hat, obwohl Du selbst ihn, sie auch belügst.
Oder: derselbe Spieler, der sich tierisch darüber aufregt, dass er so brutal, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit gefault wurde, tritt im darauffolgenden Spiel einen anderen Spieler krankenhausreif. Und dann kommt es anschließend zu einer ausgiebigen Mediendebatte darüber, was für eine schreckliche Heuchelei das ist. Ich will das nicht kleinreden. Aber ich glaube nicht, dass sich damit unser Predigttext nicht erschöpft. Ich glaube auch nicht, dass wir damit schon zum Kern vorgedrungen, zu seiner frohen Botschaft vorgedrungen sind.
Ich musste die ganze Zeit der Vorbereitung an die Gedichtzeile denke, die mich die letzten Jahren sehr beschäftigt hat, und die ich nicht nur in der Gemeinde schon des öfteren zitiert habe: An dem Ort, an dem wir Recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühling.
Ich kann von der Kritik, die ich gegenüber einem anderen Menschen habe, sehr überzeugt sein. Ich kann mir sehr sicher sein, mit dieser Kritik richtig zu liegen. Ich kann in der Lage sein, meine Überzeugung mit super klaren, aus meiner Sicht völlig einleuchtenden Beispielen zu belegen. Ich kann aus meiner Sicht in der Lage sein, sehr schlüssig darzulegen, warum ich die besseren Argumente auf meiner Seite habe. Ich kann eine Menge anderer Personen auf meiner Seite haben, die die Dinge ganz ähnlich sehen.
Wenn ich glaube, ich wäre damit schon weg vom Böses tun, dann habe ich mich geirrt. Wenn ich glaube, ich hätte in meiner Überzeugung, Recht zu haben, im Recht zu sein, schon angefangen, das Gute zu tun, das in Gottes Augen Gute, das, was mir und dem anderen gut tut, dann bin ich ganz gehörig auf dem Holzweg. Ich tue dem anderen nicht dadurch gut, dass ich alle meine Energie darauf verwende, über ihn zu urteilen, ihm nachzuweisen, ihn darauf zu nageln, in welchem Ausmaß er falsch und ich richtig liege. Ich würde mal vermuten, dass wir alle, die wir hier heute sitzen, mit solchen Versuchen schon schmerzliche und ziemlich frustrierende Erfahrungen gemacht haben. Und wie schnell laufen solche Versuche darauf hinaus, dass wir uns gegenseitig in dem Vorwurf zu überbieten versuchen, wer den anderen, die andere mehr verletzt, wer das Vertrauen stärker missbraucht hat, wer weniger, wer mehr egoistisch ist.
Wir sind auch noch nicht näher bei der Freude des Umkehrens, wenn wir statt Ich habe Recht, und Du hast Unrecht, das ganze umkippen in ein ich habe Unrecht und Du hast Recht, oder indem wir uns auf ein möglichst ausgewogenes teils hast Du, teils hab ich Recht zu einigen versuchen. Zur Freude der Umkehr werden wir nur finden, wenn wir uns von Gott helfen lassen, aus diesem System, aus diesem Teufelskreislauf des Richten wollens, des Rechthaben wollens auszubrechen.
Weißt Du nicht, dass es Gottes Güte ist, die Dich zur Umkehr treibt?
Ja, das glaube, ich, dass ich Gott gegenüber, auf der ganzen Linie im Unrecht bin. Ich glaube, dass ich gegenüber seiner Treue, seiner Liebe zu mir und den anderen Menschen, seiner Entschlossenheit und Beharrlichkeit gegen Rechtsbruch und Ausbeutung vorzugehen, wenig vorzuweisem haben, das ich treulos bin, wenn er treu ist, dass es mir an Liebe fehlt, wo er bedingunslos liebt, dass er gegen das Unrecht kämpft, wo ich die Hände in den Schoß lege und mich abgefunden habe.
Aber Gott gewinnt mein Herz nicht dadurch, dass er mir das unter die Nase reibt, dass er mich festnagelt auf all das, woran es bei mir fehlt.
Er gewinnt mein Herz, indem er sich zu mir bekennt, lange bevor ich das tue, indem Jesus mir Gottes Liebe zeigt, für mich ans Kreuz geht, neues Lebenfür mich erkämpft, indem er mir sagt, dass er mich im Streit um seine Welt dabei haben will, inndem er mir das zutraut, inde er mich einlädt, ihm nachzufolgen.
Die Gegenzeile zum Ort, an dem wir Recht haben, lautet: Zweifel und Liebe aber lockern die Welt auf, wie ein Maulwurf, wie ein Pflug. Zweifel daran, ob und in welchem Umfang ich Recht habe, Zweifel, ob ich nicht auch täuschen könnte, ob es nicht noch mal sehr andere Dinge durch den anderen zu hören und zu entdecken gibt, als ich sie bisher wahrgenommen habe.
Und Liebe, die sich auf den schwierig Weg begibt, herauszufinden, was das hier und jetzt heißen könnte, etwas, vielleicht sogar das Gute zu tun, dass was eben jetzt angebracht ist, und aus dem unwegsamen Gestrüpp herausführt. Dazu segne uns Gott mit seiner Gnade
Amen.