2016, 05, 22, Röm 11,33-36, Jubelkonfirmation

Liebe Jubelkonfirmandinnen, liebe Jubelkonfirmanden!

60, 65, 70 Jahre ist es her, dass Sie in unserer kleinen Kirche von Pastor Barth konfirmiert worden sind. Eine lange Zeit, eine sehr lange Zeit, finde ich. So weit kann ich nicht zurückdenken, schon vor 60 Jahren war  ich noch gar nicht geboren. Oder überwiegt bei Ihnen das Gefühl, dass die Tage, Monate, Jahre schnell, wie im Fluge vergangen sind.

Bei einer Mehrzahl von Ihnen reichen die Erinnerungen noch bis zurück in die Nazi- und Kriegsjahre. Sie haben die Nachkriegszeit, als zum zweiten Mal ein demokratischer deutscher Staat gegründet wurde als junge, zum Teil als sehr junge Menschen erlebt. Welche Hoffnungen haben sich damit verknüpft, welche sind erfüllt, welche sind enttäuscht worden?

Sie haben es zum Teil miterlebt, wie vor den Russen geflüchtete Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in die Wohnungen ihrer Eltern einquartiert wurde, wie sie auf einmal mit wildfremden Menschen die eigenen Räume teilen mussten. Sie alle wissen, wie das ist, mit materiell sehr Wenigem auskommen zu müssen und das hat sie geprägt in der Art und Weise wie sie den später wachsenden Wohlstand erlebt haben.

Sie haben den Kalten Krieg miterlebt, die als spießig verschrieene Adenauerära die Entstehung des Eisernen Vorhangs und fast 30 Jahre später die Öffnung der Mauer, die Rebellion der jungen Generation gegen ihre Eltern in den 60ern.

Sie haben geheiratet, selbst Kinder bekommen, sie genießen die Kontakte mit den Enkeln und Urenkeln, lassen sich von Ihnen in die Geheimnisse von Handy und Computer einweisen. Sie haben liebe Menschen zu  Grabe getragen. Seit sie konfirmiert wurden, sind die Menschen in Europa um einiges näher zusammengerückt, auch an dem Ort an dem sie wohnen, hat  sich die Globalisierung bemerkbar gemacht. Sie haben gelernt, älter zu werden, Rentner, Rentnerin zu sein, dass so vieles nicht mehr so schnell geht wie früher, dafür aber auch nicht mehr schnell gehen muss, weil da keiner mehr ist, der das Recht hat, Ihnen Druck zu machen.

Sie haben sich auf diesen Tag gefreut und fragen sich sicher, was die anderen abgehalten hat, heute zu kommen, die Sie gehofft hatten, wiederzusehen. Ich hoffe, dass Sie es trotzdem nicht bereuen, hier zu sein, den Weg auf sich genommen zu haben. Ich freue mich, dass Sie hier sind, dass wir zusammen Gottesdienst feiern, dass wir’s in der Erwartung tun dürfen, dass Gott zu uns reden will und dass er uns Ohren zum Hören schenkt.

Wir hören heute seinem Apostel zu, dem rabbinisch geschulten Juden Paulus zu, den Gott zu uns Menschen aus den Heidenvölkern gesandt hat. Er hat einen langen, langen Brief geschrieben, wie das heute wohl nur noch ganz wenige Menschen auf der Welt tun. Dieser Brief ist mit Herzblut geschrieben. Ich finde, das spürt man in jeder Zeile, in jedem Wort. Paulus hat viel argumentiert in seinem Brief, wo so viel Herz ist, da ist auch Verstand. In den letzten Kapiteln, da merkt man: seine Gedanken, die kommen aus dem Gebet. Paulus ist ein Mensch, der viel und inbrünstig betet.

Und nun, schließlich und endlich, bricht aus Paulus das Staunen über Gott heraus. O, welch eine Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte, wie unergründlich seine Wege. Wer hat den Sinn des Herrn erkannt und wer ist sein Ratgeber geworden?

Haben Sie in ihrem Leben schon mal in vergleichbarer Weise über ihren Gott gestaunt, so dass Sie nach Worten suchen mussten? Als Sie Ihren Mann, als Sie Ihre Frau getroffen, als Sie Ihr Kind, ihr Enkelkind das ersten Mal im Arm gehalten haben? Als Sie entdeckt haben, dass Gott es mit Ihnen aushält, obwohl er mit Ihren schwärzesten Gedanken bestens vertraut ist, obwohl er weiß, wie schadenfroh sie sein  können, was für ein Neidhammel, wie kleinlich und verbissen und nachtragend? Stauen Sie darüber, was für völlig verschiedene Arten von Menschen Gott erschaffen hat und was für tolle Wesen seine Tier sind? Können Sie darüber staunen, dass Gott noch immer Hoffnung hat für seine Welt, auch an Punkten, wo Sie nicht mehr zu hoffen wagen, dass er sich noch immer zutraut, Menschen ändern zu können, zu bekehren, dass sie aufhören zu hassen Wunden zuzufügen, ihre Angst auszutreiben, in der rücksichtslos um sich schlagen?

Nein? Oder doch? Sie sollen jetzt nicht mir zuliebe  mit „Ja“ antworten. Dass Sie über Gott staunen, dass kann Ihnen niemand befehlen, vielleicht noch weniger als ihn zu lieben. Auch Gott kann Ihnen das nicht befehlen. Vor allem aber will er Ihnen das nicht befehlen. Er hofft es von Herzen, er würde sich sehr darüber freuen, wenn er Sie dazu bringt, sich von seinem Apostel anstecken lassen, dass Sie aus freien Stücken das Staunen über ihren Gott lernen.

Sollen wir einen Blick auf das werfen, was den Apostel dazu bringt, über Gott zu staunen?

Was findet der Apostel denn so unerforschlich an Gottes Gerichten, so unergründlich an seinen Wegen? Gott erwählt sich, wen er will. Er lässt sich von niemandem vorschreiben, auf wen seine Wahl fällt, von Dir nicht, von mir nicht, von niemandem sonst auf dieser Welt und auch nicht von seinen Engeln.

Gott erwählt sich nicht die, die besonders mächtig sind, und schon gar nicht die, die das meiste Geld haben. Gott lässt sich, anders als wir, bei seiner Wahl nicht davon beeinflussen, wie gut jemand aussieht. Er achtet nicht darauf, wie viel Sympathiepunkte jemand bei anderen Menschen bisher einfahren konnte. Er erwählt sich die, die er erwählen will, egal wie anrüchig, egal wie zweifelhaft andere das finden mögen.

Gott erwählt sich die Menschen, von denen er spürt, dass sie ihn brauchen, dass sie ihn nötig haben, dass sie sich über seine Wahl freuen werden. Gottes erste Wahl fällt auf Israel, auf Abraham und Sara, auf Isaak und Rebekka, auf Jakob, Rahel und Lea, auf ihre Nachkommen, die als Sklaven in Ägypten leben, die erst in der Sklaverei zu einem Volk werden.

Menschen sagen: Warum nicht wir als erstes wir Amerikaner, wir Araber, wir Kenianer, wir deutschen Arier, warum dieser Haufen von Viehzüchtern, dieser Haufen von geflüchteten Sklaven, die schon nach kürzer Zeit in der Wüste zu murren anfangen und sich zurück nach Ägypten sehnen.

Die Menschen sagen: Warum dieser Umweg, warum erwählst Du nicht sofort uns alle, warum sollen wir uns als erstes in Abrahams Volk Segen wünschen, Mitgesegnete sein, warum gibst Du Dich mit diesen halsstarrigen Leuten ab? Und der Jude Paulus, den Gott zu uns Menschen aus den Heidenvölkern gesandt hat, um uns das Evangelium von Jesus Christus zu bringen, staunt, dass Gott sich von all diesen skeptischen Nachfragen kein bisschen beirren lässt. Er staunt darüber, dass sein, dass unser Gott treu ist. Er leidet, es schmerzt ihn bitterlich, wenn die Menschen, die er sich erwählt hat, von ihm abkehren, wenn sie sich treulos verhalten. Aber er denkt nicht daran, sich von ihrer Untreue anstecken, sich von Ihnen dazu verführen zu lassen, selber untreu zu werden.

Daran, wie Gott es mit seinem Volk hält, lernen wir Menschen aus allen Völkern, was es bedeutet, dass wir einen Gott haben, der treu ist, nicht nur so lange treu, wie es gut geht, in den sonnigen Zeiten und Jahren, sondern der treu ist in der Krise, in der Niederlage, in den Abgründen, wenn Du am Boden liegst, einen Gott, der nicht nur treu ist auf Zeit, auf Probe, sondern mit Haut und Haaren, für immer.

Der Apostel Paulus staunt darüber, dass der Gott Israels, der unser aller Gott ist, alle Menschen in den Ungehorsam beschlossen hat, um sich aller zu erbarmen. Mögen wir Menschen, dass eine ganz schön verquere Logik nennen, was soll’s. Unser Gott weiß, was er tut. Er weiß, was für uns heilsam ist.

Wie tief steckt das in uns in allen drin, der Wunsch, das Bedürfnis, der Traum, Lieblingskinder zu sein, nicht der Musterschüler, aber Lieblingsschülerin. Schon im Kreis der Geschwister von dem Vater, von der Mutter noch ein klein wenig lieber gehabt zu werden als die anderen Geschwister, nicht öffentlich, vor den anderen sichtbar bevorzugt, aber doch ihrem Herzen noch mal einen Tick näher zu stehen.

Wie begierig sind wir danach, gelobt zu werden, von denen, an deren Achtung uns viel liegt, wie genau achten wir bei ihnen auf jede Nuance, auf jeden winzigen Unterschied des Tonfalls wie unser Lob im Vergleich zu dem der anderen ausfällt.

Wie gerne hätte wir das, in Gottes Augen als Gemeinde doch etwas ganz Besonderes zu sein, ein Ort, an dem er sich in  besonderer Weise zu Hause fühlt. Und sollte Gott nicht gerade an mir Wohlgefallen haben, weil ich nicht so hochmütig bin, weil ich meine Fehler eingestehe, anstatt sie zu vertuschen?

Wie tief steckt in uns das Bedürfnis drin, der Wunsch, die Sehnsucht, Recht zu haben, Recht zu behalten. Recht zu haben, richtig zu liegen mit unserer Art und Weise die Dinge anzugehen, Recht zu behalten mit unserem schwungvollen, mitreißenden Optimismus, mit unserer Großzügigkeit, Recht zu behalten mit unserem gut begründeten Misstrauen, mit unserer strengen Konsequenz.

Wie sehr lassen wir uns davon leiten, Recht zu behalten mit unseren jahrzehntelangen Erfahrungen, richtig zu liegen mit dem, was unser Instinkt sagt, was uns unsere Gefühle nahe legen.

Und Paulus schreibt: Er unser Gott, der Gott Israels, der Gott aller Menschen, hat uns alle, Juden wie Nichtjuden zusammen geschlossen in den Ungehorsam, um sich unser aller zu erbarmen. So viel leichter für unsren Gott mit unserem offenen Widerspruch, mit unserem demonstrativen Trotzkopf fertig zu werden, als mit dem Brustton unserer Überzeugung, ihm schon längst gehorsam zu sein.

Darüber staunt Paulus, wie genau unserer Gott uns kennt, wie genau sein Gespür für das ist, was uns ihm gegenüber am allerschwersten fällt und von dem er allein weiß, das wir es am allernötigsten haben: nichts fällt uns so schwer, als die Erkenntnis, dass wir Gott gegenüber mit leeren Händen dastehen, dass es da nichts gibt, auf dass wir pochen könnten, dass es nicht auf uns, sondern ausschließlich auf ihn ankommt, dass er uns entgegengeht, dass er uns nachgeht, dass er sich unser erbarmt, dass er sein Herz sprechen lässt, dass er nicht mit uns nach unserer Schuld handelt, sondern nach dem, was er uns schenken weil, ohne das wir es verdient haben, weil er seine Lust daran hat, weil er seine Lust daran hat, uns gnädig zu sein.

Aus ihm, unserem Gott ist alles, was wir haben, aus ihm unseren Gaben, unsere Fähigkeiten, unser Verstand, uns Gefühl, unser Einfühlungsvermögen, aus ihm alles, was wir für einen Mangel halten, was wir sehen, dass die anderen das viel besser können als wir, aus unserem Gott unsere Mängel und Schwächen und Unvollkommenheiten, die wir so gerne abschütteln würden.

Durch ihn alle unsere Kraft, alle Kraft etwas zu tun, alle Kraft mit unsren Zweifeln fertig zu werden, aus ihm alle Kraft umzukehren, aller Mut uns helfen zu lassen.

Zu ihm hin sind wir geschaffen. Zu dem, der uns voraus ist, der auf uns wartet, der sich nach uns sehnt, der es nicht erwarten kann, uns in die Arme zu nehmen.

Amen.

 

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