Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus! 1. Joh 4,18a
Lieber Benito, lieber Jan-Philipp, lieber Jannis, liebe Paulina, liebe Lara, lieber Tim-Benedikt, liebe Gemeinde!
Als ich Euch vorgestern Abend hier in der Kirche gefragt habe, was Ihr Euch im Blick auf die heutige Predigt wünscht, da wusste ich schon im Moment, als ich es ausgesprochen hatte, was Ihr antworten würdet: das, was Konfirmanden und Konfirmandinnen auf so eine Frage fast immer antworten: Bloß nicht so lange!
Na, selbst in Schuld, wenn ich so frage, was soll ich Euch für Eure ehrliche Antwort böse sein. Ist nicht Euer, ist mein Problem, ist meine Verantwortung, wenn ich es wieder und wieder nicht hinbekomme, so zu predigen, dass Ihr Lust habt, zuzuhören und darüber vergesst, wie lang oder wie kurz es dauert. Ob das heute morgen besser gelingt, dass Ihr Lust bekommt, zuzuhören? Ich wünsche mir das sehr, wie immer, wie an jedem Sonntag.
Kurz ist jedenfalls der Predigttext, den ich ausgesucht habe. Es ist nicht mal ein vollständiger Bibelvers: Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Ich mag diese Worte sehr. Ich habe schon in vielen Situationen Kraft aus diesen Worten geschöpft. Ich weiß, es ist immer eine haarige Sache, wenn man versucht, anderen mit seinen Lieblingsworten, seiner Lieblingsmusik, seinem Lieblingsfilm zu kommen. Damit habe ich mir schon oft die Finger und die Lippen verbrannt. Das hätte mich fast dazu gebracht, noch mal nach einem anderen Text zu suchen. Aber ich hab meine Skrupel über den Haufen geworfen. Ich möchte Euch gerne diese Worte mit auf den Weg geben.
Freude lässt sich nicht befehlen, na klar doch. Aber am Tag an Eurer Konfirmation gibt es viele Gründe fröhlich zu sein. Für Eure Familien: dass die anstrengenden Vorbereitungsarbeiten nun doch alle irgendwie fertig geworden sind und es mit der Feier losgehen kann und alle Befürchtungen, dass das Essen angebrannt sein oder der Kuchen nicht reichen könnte, sich als völlig unbegründet herausstellen werden.
Vor allem aber für uns alle, für Eure Freundinnen und Freunde, für Eure Familie und für unsere Gemeinde, viel Grund fröhlich und dankbar zu sein, dass es Euch sechs in unserer Gemeinde gibt: Dich Tim-Benedikt, Dich Paulina, Dich Lara, Dich Jannis, Dich Jan-Philipp, Dich Benito. Grund, fröhlich und dankbar zu sein, dass Ihr Euch die zwei Jahre für den Konfirmandenunterricht Zeit genommen habt; für alle Gespräche, die wir in dieser Zeit geführt haben; für alles, was wir zusammen erlebt haben; für das, was jeder und jede von Euch persönlich ausstrahlt und einbringt, für das, was Ihr in Euren Texten für den Gemeindebrief geschrieben habt. Und wenn die drei von Euch, die mit in Hameln waren, am Sonntagmittag dort in der Pizzeria einfach keine Anstalten machen, sich mal auf den Nachhauseweg nach Vlotho zu begeben, die Konfizeit so ganz schrecklich nicht gewesen sein kann.
„Wenn das heute so ein fröhlicher Tag ist, warum haben Sie dann für uns einen Predigttext ausgesucht, der mit dem Wort Furcht beginnt?“ könntet ihr mich fragen.
Aber er fängt doch nur damit an. Wichtig ist, dass es etwas gibt, das stärker ist alle Furcht, etwas, dass alle Furcht besiegt, das die Furcht austreibt: die Liebe, Gottes Liebe mal ganz bestimmt. Wenn ihr so fragt, werde ich euch das sicher entgegnen. Nur, es ist schon in Ordnung, dass das Wort „Furcht“ vorkommt, dass es mit drinsteht. Auch wenn heute Euer Konfirmationsgottesdienst ist. Es ist gut, dass es mit drinsteht, gerade weil Ihr heute Konfirmation feiert.
Es geht um das, was Deiner Furcht, was Deiner Angst gewachsen ist. Darauf kommt es an.
Aber die Bibel scheut sich nicht, anzusprechen, wovor Du Dich fürchtest, was Dir Angst macht. Sie blendet das nicht aus. Auch nicht heute. Ein Indianer, eine Indianerin kennt keinen Schmerz! So blöd ist natürlich niemand von Euch, dass er, das sie das über sich selbst behaupten würde, auch ihr vier Jungs nicht.
Aber man muss mit dem, wovor man sich fürchtet, was einem Angst und Kopfzerbrechen macht, ja nicht hausieren gehen. Das müssen die anderen ja nicht mitbekommen, dass Du Dir ernsthaft Sorgen wegen Deiner Noten machst, dass Dir das, was die anderen über Dich sagen, wie viel mehr an die Nieren geht, als Du Dir anmerken lässt, dass Du in vielen Dingen viel unsicherer bist, als Du die anderen glauben machst, und dass Du an Dingen, die für andere nur ein Klacks sind, richtig zu knapsen hast.
Das müssen wirklich nicht alle aus deiner Klasse, nicht alle aus Deiner Unterrichtsgruppe mitbekommen. Könnte sehr leicht passieren, dass sie nur ihr Süppchen darauf kochen. Es reicht, wenn Dein bester Freund davon weiß, wenn Du Deinen Eltern Sachen anvertraust. Und dann gibt es Sachen, die Dir Angst machen, die können alle anderen nur teilweise verstehen, selbst wenn Du Dich ihnen anvertraust.
Darum ist es wichtig, dass das Wort „Furcht“ mit drinsteht. Du sollst wissen, dass Gott mit allen Fasern Deines Lebens, mit allen Deinen Lebensumständen vertraut ist, mit allem, was Du heute morgen mitgebracht hast, mit allem, was Dich ausmacht, mit Deinen Tränen und mit Deinem Lachen. Er traut sich zu, allem, was Dich betrifft, gewachsen zu sein, heute, und an jedem neuen Tag, der vor Dir liegt.
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Ist schon ne irrsinnige Sache, das zu behaupten. Ist irrsinnig, der Angst und der Furcht keine Schutzgräben, keine einschüchternden Drohgebärden, keine Waffen, keine Trennzäune, kein in sich Verkriechen, kein unter sich und seines Gleichen bleiben, sondern ausgerechnet die Liebe entgegen zu setzen, ausschließlich die Liebe, nichts anderes.
Furcht ist nicht in der Liebe. Das gilt zunächst für Gottes Liebe selbst. Es gilt für die Art und Weise, in der Gott Dich und mich liebt. In Gottes Liebe zu Dir ist keine Furcht. Gott fürchtet sich nicht vor Dir. Gott fürchtet sich nicht davor, wie Du auf seine Liebe reagierst. Seine Liebe fürchtet sich nicht davor, von Dir zurückgewiesen zu werden. Sie ist frei von Verlustangst. Sie hat keine Angst, dass Du ihm verloren gehen könntest. Dass Du jetzt bloß nicht auf die Quatschidee kommst, als wäre Gott egal, wie Du auf ihn und seine Liebe reagierst, als ließe ihn das kalt, als würde ihm das nicht weh tun, wenn Du seine Liebe zurückweist. Aber wie weh ihm das auch tut. Er fürchtet sich nicht vor Deiner Zurückweisung.
Er lässt sich von keiner Verlustangst leiten. Er lässt sich nur von seiner Liebe leiten. Denk an den Vater mit den beiden Söhnen in der Geschichte, die Jesus über Gottes Liebe erzählt.. So sehr es dem Vater das Herz zerreißt, als sein jüngerer Sohn sich das Erbe ausbezahlen lässt, weil er in die Welt hinaus will, endlich weg von seinem Vater: Der Vater lässt ihn ziehen. Er macht ihm keine Vorwürfe. Er redet mit keinem Wort auf ihn ein.
Er sagt nicht „Was tust Du mir bloß an! Was habe ich Dir bloß getan? Er gibt sein geliebtes Kind frei. Aber er wartet jeden Tag. Er hört nicht auf, auf den Tag zu hoffen, an dem sein Sohn zu ihm zurückkehren wird. Er sehnt den Tag herbei, an dem er sein Kind wieder in die Arme schließen kann.
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Was tut Gottes Liebe, um Deine Furcht auszutreiben? Was tut Gottes Liebe, um es mit meiner Angst aufzunehmen, mit meiner Angst vor dem, was die anderen über mich sagen und denken, mit meiner Angst, ob ich mit den anderen mithalten kann, mit meiner Angst, den anderen Menschen zu verlieren?
Das erste, was Gott tut: Er erinnert mich an seine Liebe, er lässt mir ausrichten, dass sie da ist, dass sie existiert. Er erinnert mich, dass seine Liebe mich sucht, dass sie nicht abwartet, was ich tun werde, sondern dass sie den ersten, verbindlichen, entscheidenden Schritt auf mich zugegangen, dass sie dahinter nie wieder zurückgehen wird. Er lässt mir immer wieder vor Augen malen, dass er seine Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus in unsere Welt gesandt, dass Jesus sich unschuldig hat verraten, verleugnen, verspotten, hinrichten lassen, ohne zurückzuschlagen, ohne die Verbindung zu uns zu kappen, nur damit wir Gott endlich seine Liebe glauben, ihm glauben wie bedingungslos, wie unwiderruflich sie ist.
Wenn Du an Gottes Liebe zweifelst, wenn Du dir unsicher bist, wenn Du Dich fragst, ob sie Dir gilt, ob Du es wert bist, dann denk an das, was Gottes geliebter Sohn für seine Welt und damit für Dich getan hat. Wenn Du Dich fragst, warum es Sinn machen könnte, Dich auch nach der Konfirmation an einem Sonntagmorgen aus dem Bett zu quälen und zum Gottesdienst zu gehen, hier ist der wichtigste Grund: weil Du hier von Gottes Liebe hörst, weil Gott Dir hier damit dient, dass er sich bei Dir mit seiner Liebe in Erinnerung bringt. Tu’s nicht Deinem Pastor, tu’s nicht Deiner Gemeinde zuliebe. Tu’s für Dich!
Das zweite, was Gott tut, um Deine Furcht mit seiner Liebe auszutreiben. Er ist dein bester Zuhörer. Er steht Dir rund um die Uhr zur Verfügung, Tag und Nacht.
Es ist toll, wenn du Menschen hast, die Dir zuhören: Freunde, Freundinnen, vielleicht Deine Eltern, wer auch immer. Das ist ein nicht zu überschätzendes Geschenk. Und es ist ganz bestimmt etwas, worum Du Gott bitten darfst: dass Du solche Menschen findest, dass er Dir Menschen zeigt, die Dein Vertrauen verdienen, die Dich nicht mit ein paar schnellen Ratschlägen abspeisen, Menschen, bei denen Du Dich darauf verlassen kannst, dass sie verschwiegen sind, bei denen Du keinen auf stark machen musst.
Dein bester Zuhörer bleibt Dein Gott, weil: Furcht ist nicht in der Liebe. Es gibt, wenn Du mit Gott redest, absolut nichts, was Du zu befürchten hast. Du musst Dich nicht davor fürchten, dass er beleidigt, gekränkt reagiert, dass er Dich falsch, dass er Dich missversteht, dass er Dir den Mund verbietet, dass Du ihn schockierst. Es gibt kein Wort auf Deiner Zunge, dass er nicht schon wüsste. Er versteht Deine Gedanken von ferne.
Wenn Du mit einem Menschen sprichst, wird es immer Momente geben, wo Du überlegst, ob Du das jetzt auch noch preisgeben sollst; ob Du das dem andren, der anderen noch zumuten kannst; ob Sie das verkraftet, wenn Du ihr das vorwirfst; ich brauch Dir das nicht aufzuzählen, das weißt Du selbst.
Mit Gott kannst Du über alles spr,echen: über Deinen Hass, über Deine Wut, auch über Deine Wut auf ihn. Du kannst mit ihm über Deine Eifersucht sprechen, Deinen Neid, Deinen krankhaften Ehrgeiz, Deinen grenzenlosen Egoismus, deine Schadenfreude, über dass, was Du Deinen Eltern, was Du Deinen besten Freunden an den Hals wünschst. Der Punkt ist nicht, dass er das alles sowieso weiß. Der Punkt ist, dass er es weiß und Dir weiter zuhört, Dich nicht verurteilt, Dich trotzdem erträgt, Dich mit all Deinem Wust, den Du gar nicht richtig in Worte fassen kannst, erträgt und Dich keinen Deut weniger lieb hat als wenn er von all dem keinen blassen Schimmer hätte.
Das dritte, was Gott tut, um mit seiner Liebe Deine Furcht auszutreiben: Er versucht, Dich dazu zu bringen, dass Du Dich von seiner Liebe anstecken lässt. Er hofft, Dich dazu zu bringen, dass Du es wagst, Deinen Hass loszulassen, Dein Gekränktsein, Deinen Neid auf das, was die anderen können und was Du nicht kannst, Deine Angst vor dem, was die anderen über Dich sagen. Er hofft, dass Du Dich von ihm anstecken lässt, andere Menschen zu lieben, Menschen, die Dir sehr nahe stehen, und Menschen, die Dir noch oder plötzlich sehr fremd sind. Er hofft, dass Du es wagst, sie vorbehaltlos, ohne Bedingungen zu stellen, zu lieben, ohne zu wissen, was daraus wird, ohne Dich zu fürchten oder zu ängstigen.
Wahrscheinlich wirst Du sagen: „Das kann ich nicht“ oder „Ich kann es nicht und ich will es auch nicht.“ Das ist nur zu verständlich. Weil Du und ich, wir sind nicht Gott. Wir sind nicht in der Lage auch nur einen Menschen mit der bedingungslosen Liebe zu lieben, mit der Gott uns liebt. In unsere Art, in unsere Versuche zu lieben, werden sich immer Spuren von Ängsten, von Befürchtungen mischen.
Und trotzdem wird unser Gott nicht locker lassen. Er wird nicht aufhören, uns seiner Liebe zu versichern: dass sie uns gehört, dass niemand uns ihrer berauben kann, nicht mal wir selbst. Er wird nicht aufhören, uns Mut zuzusprechen, unsere Bedenken fahren zu lassen. Furcht ist nicht in der Liebe, meine Liebe zu Dir, die treibt deine Furcht aus. Es gibt nichts Besseres, was Dir und mir passieren kann.
Amen