Liebe Gemeinde!
Gott ist Liebe. Alles, was wir glauben, alles, was wir hoffen, ist beschlossen in diesen drei Worten. Es gibt nichts Höheres, nichts Wichtigeres von Gott zu hören, zu entdecken, zu erfahren als die Welt, die sich für uns mit diesen drei Worten öffnet: Gott ist Liebe. Wenn wir versuchsweise dasselbe über uns sagen würden: „Du bist Liebe“, „Ich bin Liebe“, da würden wir sofort denken: Das hört sich aber komisch an. Es hört sich vor allem deshalb komisch an, weil wir sehr gut wissen: Es stimmt einfach nicht. Ich, Du, wir, wir sind nicht Liebe.
Liebe, das macht einen Teil unsres Lebens aus, hoffentlich einen wichtigen Teil. Aber unser Leben besteht nicht nur daraus, dass wir andere Menschen lieben. Unser Leben besteht auch daraus, dass wir andere Menschen beneiden, dass wir sie als Konkurrenten empfinden, dass wir sie verachten, dass sie uns gleichgültig sind, dass sie uns schrecklich auf die Nerven gehen, dass wir ihnen aus dem Weg gehen, dass wir Angst vor ihnen haben, dass wir ihnen misstrauen und überlegen, wie wir uns am besten gegen sie schützen können.
Und Neid, Angst, Misstrauen, Genervtsein, dass mischt sich auch in die Beziehungen zu den Menschen, die wir gern haben; von denen wir sagen, dass wir sie lieben; bei denen wir alle unsere Kräfte mobilisieren, um sie spüren zu lassen, dass wir sie gern haben; bei denen wir uns so sehr wünschen, dass uns das gelingt: sie aufrichtig ohne Egoismus zu lieben.
Gerade bei diesen Menschen haben wir Angst, sie zu verlieren, Angst davor, in unserer Liebe zurückgestoßen zu werden. Und auch den Menschen, die wir lieben, tun wir Unrecht: engen sie ein; halten ihnen vor, was sie versäumt haben; wir suchen, wenn wir mit ihnen zusammen sind, uns selbst, das, was uns glücklich macht, und erst an zweiter, dritter Stelle das, was ihnen gut tut, was sie gerade jetzt nötig haben.
Auch in der Beziehung zu unserem Gott ist das nicht anders. Auch da macht die Liebe nur einen Teil aus. Auch da bleiben unsere Versuche, ihn zu lieben, zwiespältig. Wir sind in der Lage, ihn stunden-, vielleicht sogar tagelang zu vergessen. Wir hören nicht auf ihn, weil wir meinen, selber besser zu wissen, was gut für uns ist. Wir sind zu stolz, um uns von ihm helfen zu lassen. Wir reagieren enttäuscht und wenden uns von ihm ab, weil er unsere Wünsche nicht erfüllt. Wir lassen ihn links liegen, sind mit allen möglichen unserer Lieblingsprojekte beschäftigt, interessieren uns wenig für das, was ihm auf den Nägeln bringt. Seine Sorge um all die Menschen, deren Recht mit Füßen getreten wird, um die Frauen und Mädchen, die zur Prostitution gezwungen werden, um die Bauern, deren Höfe von Großgrundbesitzern in den Ruin getrieben werden, erreicht unser Herz nicht. Wir haben ja schon so viel mit uns selbst zu tun, mit unseren eigenen Sorgen. Und dann sind da die Momente, in denen uns Angst vor Gott beschleicht: Angst er könnte uns unsere Gedankenlosigkeit, unsere Vergesslichkeit ihm gegenüber, eines Tages doch noch heimzahlen.
Wir zweifeln an Gottes Versprechen, wir zweifeln an seiner Gegenwart.
Gott ist Liebe. Liebe macht nicht einen bestimmten Prozentsatz seines Lebens aus, neben dem Gott auch noch zu ganz anderen Dingen fähig wäre, die nichts im entferntesten mit Liebe zu tun haben. Gott ist Liebe. Liebe ist das, was sein Leben ausmacht. Das hält ihn lebendig: zu lieben. Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe das sind Worte und Taten. Weil er dich liebt, findet er den richtigen Moment, Dich anzusprechen. Nicht nur zu seinen jüdischen Kindern, auch zu Dir sagt er: Fürchte Dich nicht, ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen: Mein bist Du.
Was Gott tut, das tut er, weil er seine Welt und ihre Menschen liebt. Die Mühe, die Du ihm kostest, die Sorgen und die Arbeit, die Du ihm bereitest, die nimmt er gerne, ohne Widerwillen auf sich, weil er Dich liebt.
So sehr es ihm auch wehtut, wenn Du Deine eigenen Wege gehst, wenn Du ihm die kalte Schulter zeigst, seine Liebe ist stark genug, Dich freizugeben. Sie achtet Dein „Nein“, sie drängelt Dich nicht. Sie macht Dir kein schlechtes Gewissen. Sie reagiert nicht aus der Angst heraus, Du könntest ihm verloren gehen.
Da ist kein Neid in Gottes Liebe zu Dir. Er ist nicht neidisch auf Deine selbstgemachten Götter und Göttinnen, die Du ihm vorziehst: auf den Lottogewinn, von dem Du träumst; auf die möglichst vielen, von denen Du hoffst, dass sie an Deinen Lippen kleben. Da ist kein Neid bei ihm auf Deine Göttin Perfektion, die Dir streng verbietet, irgendwelche Fehler zu machen; kein Neid auf die Stunden um Stunden, die Du am Computer verbringst, ohne Dich davon loseisen zu können. Es ist kein Neid, dass Du ihn so wenig beachtest, was ihn antreibt Es ist nur das Wissen, dass Deine selbstgemachten Götter und Göttinnen Dir nicht helfen, dass sie das Glück, dass sie Dir versprechen, nicht werden einlösen können. Aus Liebe zu Dir eifert er um Dich, wenn er sieht, wie Du ihnen nachrennst.
Wenn er mit Dir zürnt, wenn er sich Dir in den Weg stellt, wenn er sich Dir für eine Zeitlang entzieht, wenn er Dich damit straft, dass er Dich den Folgen Deines Tuns überlässt, dann tut er das nicht als beleidigte Leberwurst. Dann sucht seine Liebe zu Dir nach einem Mittel, einem Weg, dass Du es wagst, umzukehren.
Wenn unser Gott Partei ergreift; wenn er seine Stimme gegen die erhebt, die Blut vergießen; wenn er sich weigert, die Augen vor so viel unschuldigem Sterben zu verschließen; wenn er kein Verständnis für uns zeigt, wenn wir meinen, unseren Wohlstand vor den Elenden und Armen zu retten und mit Klauen verteidigen zu müssen; wenn er uns auffordert, den Kampf um gerechtere Strukturen nicht verloren zu geben; wenn er uns anfleht, uns nicht damit abzufinden, dass die Macht über lebenswichtige Ressourcen in den Händen so weniger über die Existenzmöglichkeiten von Millionen entscheidet, dann weil er der Gott ist, der das Recht liebt. Er liebt das Recht, weil er die liebt, die ohne Recht sind, die Menschen, die verzweifelt sind, die gequält werden, die mundtot gemacht wurden. Er ist der Gott, der das Verlorene liebt und sucht. Er wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen, er bewahrt die glimmenden Dochte vor dem Verlöschen. Sein Herz schlägt für die, die unter die Räder gekommen sind.
Er ist der Gott, der seinen Sohn in unsre Welt gesandt, ihn in unsere Hände überliefert hat. Er hat mit angesehen, wie sein geliebter Sohn zwischen uns unter die Räder gekommen ist. Er hat sich dadurch nicht zum Hassen verleiten lassen. Er hat keinen Rachefeldzug gegen die gestartet, die Jesus das angetan haben. Er hat nicht aufgehört, zu lieben. Er hat den ohnmächtig unter die Räder Gekommenen ins Recht gesetzt. Er hat Jesus vom Tode auferweckt, allen Menschen zugute: allen, die ihn verdammt, verurteilt, gequält, verlacht, verraten, verleugnet, im Stich gelassen haben. Gott hat am Kreuz von Golgatha, als es am allerschwersten war, nicht aufgehört zu lieben. Gott ist Liebe. Alles, was er tut, tut er aus Liebe.
Warum sollten wir uns davor fürchten, dass dieser Gott über uns richten wird, dass er es in die Hand nehmen wird, zwischen Recht und Unrecht auf Erden zu schlichten? Warum sollten wir dem nicht getrost und mit Zuversicht entgegen sehen: nicht wir, kein anderer Mensch, Jesus wird das letzte Wort über uns behalten?
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Für mich eins der größten Zauberworte in der Bibel. Furcht ist nicht in der Liebe. Keine Frage, einmal mehr ist hier von Gottes Liebe die Rede. Gott hat keine Angst, zu lieben. Er liebt uns ohne jede Spur von Angst. Gott hat keine Angst, bei uns auf Granit zu beißen. Er hat keine Angst, sein Gesicht zu verlieren. Es erschreckt ihn nicht, wenn jemand sagt: Was für ein schwächlicher, ohnmächtiger Gott, der seinen Menschen hinterherrennt und sich für sie zum Affen macht. Gott glaubt nicht an die Macht der Waffen. Er setzt sein Vertrauen nicht auf die Macht der größten Marktanteile, der größten Profitraten. Gott glaubt an die Macht seiner Liebe und er pfeift darauf, wenn wir ihn deswegen für naiv halten.
Gott glaubt, dass die Macht seiner Liebe stärker ist als der Hass zwischen den Menschen, stärker als ihre Angst voreinander, vor dem, was sie nicht kennen, vor dem, was sie nicht verstehen. Gott glaubt, dass seine Liebe Macht hat, uns reichen Ländern die Angst davor zu nehmen, unseren Reichtum mit den armen Ländern zu teilen. Er weiß, dass seine Liebe die Macht hat, Hartz IV Empfängern ihre Angst zu nehmen, dass die Unterstützung von Flüchtlingen auf ihrem Rücken ausgetragen wird.
Gott glaubt, dass seine Liebe mächtig ist, mir die Angst zu nehmen, dem Menschen zu vergeben, der an mir schuldig geworden ist, selbst wenn diesem Menschen noch gar nicht bewusst geworden ist, wie sehr er mich verletzt hat: mit dem, was er mir angetan hat, mit seinen unachtsamen Worten, mit seiner Gedankenlosigkeit, mit seiner Weigerung, auch nur ein klein wenig die Dinge mit meinen Augen zu sehen.
Gott glaubt, dass seine Liebe mächtig ist, mir die Angst zu nehmen, den Menschen um Vergebung zu bitten, an dem ich schuldig geworden bin; mir die Angst zu nehmen, zu sagen: ja, es stimmt, ich habe Mist gebaut. Ich hätte das nicht machen dürfen. Ich habe es nicht gewollt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich fähig bin, das zu tun, aber ich habe es getan. Gott glaubt, dass seine Liebe mächtig ist, mir die Angst zu nehmen, wie ich damit fertig werden soll, wenn die andere sich weigert, meine Bitte um Vergebung anzunehmen.
Gott glaubt an das Wunder, dass seine vollkommene Liebe die Macht hat, meine Angst auszutreiben. Gott ist Liebe. Gottes Liebe kennt keine Furcht.
Für uns gibt es so viele Gründe, uns zu fürchten, auch wenn wir manchmal so tun, als hätten wir vor nichts Angst. Wir haben nicht alle dieselben Ängste, das stimmt. Nicht alle Menschen fürchten sich vor dem Tod, nicht alle Menschen fürchten sich vor dem Sterben. Aber kein Mensch ist von Haus aus frei von Angst. Gut zu wissen, dass Gott meine Angst kennt. Es gibt die Angst, einsam zu sein, einsam zu werden; die Schmerzen nicht mehr auszuhalten; die Angst, die Arbeit zu verlieren, die Angst zu versagen, die Angst, nicht geliebt zu werden oder wenigstens nicht genug. Es gibt die Angst, zu kurz zu kommen; die Angst, Fehler zu machen; die Angst, nicht ernst genommen zu werden; die Angst, die Schulden nicht mehr bezahlen zu können; die Angst, dass wir als Gemeinde Jesu Christi kleiner und kleiner werden, dass wir nicht genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Es ist unmöglich und auch unnötig, alle möglichen Ängste aufzuzählen.
Gott ist Liebe. Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Gott traut sich das Wunder zu, mit Deiner und mit meiner Angst fertig zu werden, und mit dem, was uns gemeinsam keine Ruhe lässt und dafür sorgt, dass wir so gereizt und kribbelig reagieren.
Lasst uns einander lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
An Christus haben wir vor Augen, wozu Gottes Liebe fähig ist. Gott ist bereit, auch das Liebste um unseretwillen herzuschenken, um uns zu bekehren, um uns von unseren Bosheiten zu heilen, von unserer Unbarmherzigkeit. Gott ist immer bereit, den ersten Schritt zu tun. Gott ist den ersten Schritt auf Dich zugegangen. Er hat Dich geliebt, bevor Du ihn kanntest, bevor du etwas von ihm wissen wolltest. Er liebt Dich, so wie Du bist, obwohl Du so bist, wie Du bist.
Er liebt Deinen Nächsten, egal wie monstermäßig er Dir schon mal vorkommt. Er hat ihn zuerst geliebt. Bevor er ihn kannte, bevor er etwas von seinem Gott wissen wollte. Gott liebt Deine Frau, Dein Kind, Deinen Mitpresbyter, Deine Heulsuse von Freund, Deinen Langweiler von Lehrer; Euer Gemeindeglied, dass nie zum Gottesdienst kommt, aber genau weiß, was ihr ihm Presbyterium besser machen müsstet. Er liebt sie, er liebt ihn so, wie er ist, obwohl er so ist, wie er ist. Er bringt es fertig, diesen Menschen zu lieben auch in den Situationen, in denen es Dir unmöglich erscheint.
Gott glaubt fest an das Wunder, dass er es fertig bringt, uns mit seiner Liebe anzustecken.
Wie oft hat er ein solches Wunder in Deinem Leben schon hinbekommen? „Noch nie!“ sagst Du“ bei mir noch nicht. Ehrlich? Bist du Dir wirklich sicher? Bitte ihn um das Wunder, dass er mit Deiner Angst fertig wird! Lass Dich nicht abwimmeln, bevor er es tut. Er hat es versprochen. Du hast seine ausdrückliche Erlaubnis, ihm zur Last zu fallen. Gott ist Liebe. In seiner Liebe ist keine Furcht. Gottes vollkommene Liebe treibt deine Furcht aus.
Amen