2015, 11, 18, Lk 13,1-9, Buß- und Bettag

 

Liebe Gemeinde,

einer meiner Lieblingsstücke der Schweizer Musikerin Sophie Hunger trägt den Titel „Train people“, Zugleute. Sophie Hunger vergleicht in ihrem Stück uns Gegenwartsmenschen mit einem Zug, der immer weiter rast, alle wissen, dass er auf eine Kollision zurast, dass er dringend gestoppt, angehalten werden müsste, dass man abspringen müsste, aber die Hände sind wie gefesselt, der Zug rast scheinbar unaufhaltsam weiter, der Katastrophe zu, der Katastrophe aus Krieg, Gewalt, Ausbeutung, Verelendung, Umweltzerstörung, Zerstörung unseres Planeten.

Das Lied selbst ist nicht so fatalistisch wie sich das jetzt anhört, aber viele Menschen denken so. wir selbst schleppen das als lähmende Befürchtung mit uns herum: ein Zug, der unaufhaltsam auf die Katastrophe zusteuert. Erst Charlie Hebdo, das explodierte russische Flugzeug, dann am Freitagnacht die Anschläge in Paris, gestern die Absage des Länderspiels in Hannover, was kommt als Nächstes?

Am Buß- und Bettag ist jedes Jahr aufs Neue von Umkehr, von Sinnesänderung, vom Stoppen, vom Anhalten, vom Umlenken des Zuges die Rede. Umkehr, Sinnesänderung, Buße, abgeschoben auf einen Alibi-Tag im November., das wäre natürlich ein Trauerspiel. Sinnesänderung, Umkehr, das ist das Grundsatzprogramm, unter dem Jesus angetreten ist: Tut Buße, kehrt um, ändert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Das ist die Voraussetzung, davon hängt alles. ab. Wenn das nicht stimmt, wenn das gelogen ist, woher sollten wir den Mut nehmen, unseren Sinn zu ändern, umzukehren.

Gottes Reich ist nicht in unendlicher Ferne, es ist in mir nahe herbeigekommen, sagt Jesus. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm bange ist vor dem Weg, den er zu gehen hat, der vor ihm liegt. Ihm ist bange vor den Schmerzen, vor der Einsamkeit, vor der Verlassenheit. Er weiß, dass sie ihn verspotten und für verrückt erklären werden, dass er so einen ohnmächtigen Looserweg geht. Aber er ist entschlossen, es zu tun. Denn so und nicht anders kommt das Reich Gottes nahe zu uns.

Jesus nachfolgen heißt, seinen Sinn ändern, Jesus nachfolgen heißt, Buße tun, umkehren. Es heißt stoppen, anhalten, die Weichen in die entgegengesetzte Richtung stellen.

Da kommen einige eben jetzt zu Jesus, wo er doch da ist, wo er das Reich Gottes ansagt, dass es zum Greifen nahe ist, und berichten ihm von dem schrecklichen Terrorakt, der gerade in Jerusalem passiert ist: Pilatus, der Statthalter der verhassten römischen Besatzungsmacht, hat Juden aus Galiläa, die nach Jerusalem gekommen sind, um im Tempel zu opfern, ermordet und ihr Blut mit dem ihrer geschlachteten Opfertiere vermischt. Was für eine Grausamkeit, was für ein Spott, was für eine Provokation für alle jüdischen Menschen. Das Alltagsgesicht des Mannes, den viele nur mit seiner Händewaschaktion verbinden, mit der er versucht hat, sich von aller Schuld an der Hinrichtung Jesu freizuwaschen.

Was haben die Leute gedacht, wie Jesus reagieren wird? Er kommt doch wie die Ermordeten ebenfalls aus dem Norden, aus Galiläa? Haben sie erwartet, gehofft, dass Jesus gegen dem gottlosen Heiden, dem Tyrannen und Verbrecher Pilatus vom Leder zieht, ihm Gottes gerechte Strafe an den Hals wünscht?

Falls sie das tatsächlich erwartet, gehofft haben, muss Jesus sie enttäuschen. Seine Antwort zielt in eine völlig andre Richtung: Glaubt ihr, dass diese Ermordeten schuldiger waren, als alle anderen Bewohner und Bewohnerinnen Jerusalems? Amen, Amen, ich sage euch. Wenn Ihr Euren Sinn nicht ändert, wenn ihr nicht umkehrt, dann werdet ihr alle ganz genauso umkommen.

Und dasselbe noch einmal im Blick auf die 18 Menschen, die vom Einsturz des Turms in Siloah erschlagen wurde. Wenn ihr nicht euren Sinn ändert und Buße tut, werdet ihr genauso sterben. Das ist überhaupt nicht mit dem Blutbad zu vergleichen, das Pilatus angerichtet hat. Es ist mir unvorstellbar, dass Jesus in irgend einer Weise gutheiße, abmildern könnte, was Pilatus getan hat. Aber schroff, provozierend, ein Stoß vor den Kopf ist das alle Mal.

Hört auf, über die Schuld oder Unschuld anderer Menschen zu spekulieren! Hört auf, einen Sinn, eine Logik, vermeintliche Gründe in eine Tat, in ein Geschehen hinein zu interpretieren. Es gibt keine Gründe, die rechtfertigen, was Pilatus getan hat. Es gibt keine Gründe, die rechtfertigen, einen Turm an einer sumpfigen Stelle zu bauen, wo Einsturzgefahr besteht.

Hört auf, Euch über die Bösewichter, die Tyrannen, den Piltaus, die Milizen der IS, die Salafisten, die Geschäftemacher in der Rüstungsindustrie, über Wolfgang Niersbach, Franz Beckenbauer und die korrupten Manager von VW zu empören. Hört auf, sie zu verteufeln! Hört auf, wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren! Hört auf, auf das zu starren und Euch von dem gefangennehmen zu lassen, was Eure Welt zerstört. Hört auf, Euch gefangen nehmen zu lassen, von eurem eigenen Kleinmut, von Euren eigenen resignativen Wandlungen, von Eurem Unmut über Euch selbst, dass Ihr nicht so seid, wie ihr gerne sein möchtet: souverän und stark und von keinem Gegenwind aus der Spur zu bringen. Hört auf, vor dem zu erstarren, Was Eure Welt und Euch selbst zerstört.

Davon kommt nichts. Daraus entsteht nichts Gutes. Lasst Euch verwandeln durch meine Nähe. Achtet auf die Spuren von Gottes Reich, das kommt. Ändert Euren Sinn! Folgt mir nach! Lasst Euch beschenken von meiner Geduld, von meiner Beharrlichkeit, von der Art wie ich mich eurer erbarme. Lasst euch verwandeln von dem, was das Böse überwindet, lasst Euch verwandeln von meiner Liebe zu denen, die mir todfeind sind!

Kehrt um, folgt meinen Spuren, oder ihr werdet ersticken in Euren Sorgen, oder ihr kommt um in dem, wovor ihr Euch fürchtet

Das ist leichter gesagt als getan, Jesus. Wir würden Dir gerne nachfolgen Jesus, wir würden Dir gerne mehr vertrauen, wir würden gerne weniger ängstlich und verzagt sein, weniger kleinmütig, weniger kleinkariert. Wir mögen das selber gar nicht, wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren. Wir spüren selbst, das uns das nicht gut tut.

Weißt Du, Jesus, wir kommen uns oft so vor, wie sich der Feigenbaum in Deinem Gleichnis fühlen muss. Wir suchen an Früchten an uns, die Dir gefallen könnten und wir entdecken nichts. Drei Jahre lang keine Frucht getragen, sagst Du, wer weiß, dass könnte auch bei uns hinkommen. Das kannst Du Dir wohl vorstellen, dass wir selbst das auch schon überlegt haben: Was soll Gott bloß mit uns anfangen, mit so einem kleinmütigen, zweifelnden, verzagten Haufen?

Was soll Gott mit einer Gemeinde anfangen, die Mühe hat, ausreichend Menschen fürs Presbyterium zu finden, in der sich sonntags 20 bis 30 Menschen im Gottesdienstraum verlieren. Vielleicht ist das sehr menschlich gedacht und Du freust Dich einfach über jede über jeden von uns, die da ist und Dich lobt, und in Treue versucht das zu tun, was Du uns aufgetragen hast. Aber so Gedanken, die hat man, frau da schon mal, dass wir fürchten: Wäre unserem Gott ja nicht zu verdenken, dass er sagt: Das lohnt sich nicht, da steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag, da ist es vielleicht besser, diesen Gemeindebaum ganz umzuhauen.

Was soll Gott anfangen, mit Leuten, die sich solche Sorgen um ihr reiches Land machen, das auf andere enormen ökonomischen Druck ausüben kann, um die eigenen Interessen durchzusetzen und das auch tut? Was soll er machen, mit Leuten, die sich vom breiten Strom der Masse mitreißen lassen und jetzt auch anfangen, Vokabeln wie „Flüchtlingsströme“ und „Überforderung“ zu gebrauchen? Da tut es gut, zu hören, dass jemand Einspruch erhebt, für uns eine Lanze bricht und zum Weinbergbesitzer sagt: Gib ihm noch ein Jahr. Ein Jahr das ist mehr als nichts, das ist aber natürlich auch keine Ewigkeit. O, schon wieder ein Jahr rum, sagen viele. Wo ist bloß die Zeit geblieben? Es ist und bleibt eine Frist. Und das hat auch was Bedrohliches, das kann auch Druck aufbauen. Kann, muss es aber nicht. Es gibt auch so was wie Verlängerungsfristen, wer weiß.

Das Wichtigste an der Frist ist aber nicht, dass sie einen begrenzten Zeitraum bedeutet, sondern das Versprechen, was in dieser Frist passieren soll:

Da verspricht jemand, um uns herum zu graben, den Boden aufzulockern und zusätzlich, obwohl das, wie ich gelesen habe, bei Weinstöcken gar nicht üblich ist, zu düngen. Ohne Bild gesprochen: Da ist jemand, der bereit ist, alles zu tun, um uns das Gefühl zu geben, dass jemand auf uns zählt, mit uns rechnet, uns nicht aufgegeben hat. Da ist jemand da, der alles tut, um es uns leicht zu machen, Frucht zu bringen, etwas gegen unsere Verhärtungen, unsere festgezurrten Standpunkte zu tun. Da ist jemand, der uns Mut zuspricht, der gute Worte für uns hat, der uns sein Ohr leiht.

Ja, Herr, das brauchen wir, dass Du uns hilfst, das Du uns zur Seite springst, dass Du uns in die Lage versetzt umzukehren, unsere Sinne auf Dich aufzurichten, Dir nachzufolgen, dorthin, wo Du es für richtig befindest.

Wir bitten Dich darum von Herzen, dass Du es tust.

Amen

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