Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott. 3. Mose 19,34
Einerlei Gesetz, einerlei Recht soll gelten für euch und für den Fremdling, der bei euch wohnt. 4. Mose 15,16
Weisung Gottes an sein jüdisches Volk, das er aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Nur zwei von zahlreichen ähnlich lautenden in der jüdischen Bibel, im Alten Testament. Kein Appell an die Moral, Lebensweisung. Weisung, die das Leben in sich trägt: für den Fremdling und ebenso für den, der hier geboren ist.
Nur wenn Du diesen Gott kennst; nur wenn Du mit seiner Liebe infiziert bist, geheilt von Deiner Angst durch seinen unbändigen Freiheitsdrang; nur wenn es ihm gelungen ist, Dein Vertrauen zu gewinnen, so dass Du Dich traust, seine Liebe zu erwidern, wirst Du Dich von Herzen freuen, dass seine Weisung gar nicht anders lauten kann als genaus so.
Ansonsten bleibst Du ein Skave Deiner Einwände, Deiner Sorge, Deiner Ängste, Deiner Befürchtungen: Was soll werden, wenn die Flüchtlingszahlen so hoch bleiben wie im Moment? Wie sollen wir das schaffen, so viele Menschen in unserem Land aufzunehmen und zu integrieren? Können wir das? Wollen wir das? Und wenn der Prozentsatz an Muslimen durch die Flüchtlnszahlen steigt und steigt und wir am Ende noch Fremde im eigenen Land werden? Wie viele gewaltbereite Extremisten holen wir uns unerkannt und ungesteuert ins Land? Und: wie viel kostet das Ganze? Und wer wird es bezahlen, wenn nicht wir Steuerzahler(innen)?
Ob es viele, ob es überhaupt Menschen unter den Geflüchteten gibt, die mit solchen Gedanken und Ängsten in den Köpfen der Menschen rechnen, bei denen sie Zuflucht suchen? Ich weiß es nicht. Das Vordringlichste, das, was Ihnen auf den Nägeln brennt, wird es sicher nicht sein.
„Ihr seid selbst Fremdlinge in Ägypten gewesen“ steht in Gottes Lebensweisung. Ihr wisst, was es bedeutet, Sklave zu sein, in unerträglichen Verhältnissen zu leben. Ich musste in meinem Leben bisher nicht fliehen. Ich bemühe mich um offen Ohren, wenn ich mit einem geflüchteten Menschen sprechen. Meist traue ich mich nicht, direkt nach seinen Fluchtgründen zu fragen. Es setzt Vertrauen bei meinem Gegenüber voraus, und wenn ich ihn, sie noch gar nicht so lange kenne…
Viele Ältere unter uns wissen, was es bedeutet, fliehen zu müssen, und wie das ist, in der neuen, fremden Heimat anzukommen. Die Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger hier leben, wissen es auch.
Unser Gott, der Gott Israels, macht keine erkennbaren Unterschiede zwischen Menschen, die aus wirtschaftlicher Not (Abraham, 1. Mose 12,10) geflüchtet sind, und solchen, die politisch verfolgt werden (Jesus, Mt 2, 13+14). So oder so sorgt er sich darum, dass Menschen nicht nur auf das Mitgefühl ihrer Gastgeber hoffen müssen, sondern dass sie zu ihrem Recht kommen.
Unser Land trägt mit seiner wirtschaftlichen Macht, den Bedingungen, die es anderen im Blick auf Handel, Preise und Anbau diktiert und mit seinen Waffenlieferungen (die sich 2015 gegenüber dem Vorjahr möglicherweise verdoppeln werden) zu den Fluchtursachen bei.
Israel hat Gott immer so verstanden, dass das Land, in das Gott es gebracht hat, nicht sein Eigentum ist, sondern dass Gott der eigentliche Besitzer ist und bleibt: „Ihr seid Fremdlinge und Gastsassen bei mir (3. Mose 25,23) “ Gottes Verhältnis zu Israels Land ist ein Besonderes und trotzdem: Ob es sich in Gottes Augen mit irgendeinem Land der Erde letztlich anders verhält, also auch mit „unserem“ Land? Nicht unser Besitz, nicht unser Eigentum, sondern von ihm anvertrautes Gut, für das wir ihm verantwortlich sind, dass sein Freiehitswille in unserem Land zum Zuge kommt.
Möge Gott uns heilen von unserer Angst, von unserer Festungsmentalität! Möge er uns Kraft und Liebe schenken, dass Recht der Fremden und Schwachen aufzurichten, die alltäglichen, nötigen Schritte der Barmherzigkeit zu tun. W. Reuter