Was ist eigentlich „Reformiert“?
Weil es zum Glück keine eindeutige trennenden Unterschied gegenüber lutherischen Christen und Christinnen mehr gibt, ist diese Frage auch für uns Reformierte selbst gar nicht so leicht zu beantworten. Wir haben uns trotzdem einmal getraut, aufzuschreiben, welche Akzente nicht nur für Reformierte, aber auch für Reformierte bestimmt wichtig sind/ sein sollten.
- Im Mittelpunkt Jesus Christus, das eine Wort Gottes, wie es uns im Alten und Neuen Testament bezeugt ist ( Barmer Theologische Erklärung von 1934, 1.These). Gott hat zu uns gesprochen. Mit dem gesprochenen Wort antworten wir darauf und erzählen weiter, was wir gehört haben.
Dieser grundlegende Akzent verbindet uns mit allen evangelischen Kirchen. Und doch fällt Nichtreformierten, die unsere Gottesdiensträume betreten sofort auf, dass es bei uns keine Bilder, in den meisten reformierten Kirchen nicht mal ein Kreuz gibt. Es fehlt alles was von der Konzentration auf das gesprochene Wort ablenkt. In einer Welt, in der wir alle mit visuellen Medien leben und dadurch beeinflusst werden, haben wir weiter großes Vertrauen in die Macht des gesprochenen Wortes.
Gefühlsbetontheit und Hang zur Innerlichkeit gehören weder zu unseren Stärken noch zu unseren besonderen Gefährdungen. Als „nüchtern“ bezeichnet zu werden, hören wir nicht ungern. Um der Sache willen nehmen wir auch den gelegentlichen Vorwurf, kopflastig zu sein, in Kauf. Der Glaube steht nicht auf der Vernunft, sondern auf der Botschaft von Jesus Christus, wie sie die Bibel bezeugt. Aber das Evangelium fordert unsere Vernunft heraus, ihm nachzu-denken . Der Glaube sucht das Gespräch. Er fürchtet keine Argumente.
- Abendmahl – Wir haben in unserer Kirche keinen Altar ,
sondern einen Abendmahlstisch
Gott hat im Kreuzestod Jesus Christi die Welt mit sich versöhnt, ein für alle Mal. Dieses eine Opfer ist genug. Danach soll es keine weitern Opfer mehr geben. Dieser Überzeugung versuchen wir bis in die Sprache hinein Rechnung zu tragen. Aber es geht nicht nur um die Sprache. Weil Jesus draußen vor den Toren der Stadt Jerusalem gelitten hat, kann es streng genommen keine besonderen heiligen Orte mehr geben. Ort unserer Heiligung ist die ganze Welt, unser ganzes Leben. Gott ist nicht an unsere Kirchenmauern gebunden. Er lässt sich auch nicht in sie einsperren. Im Gottesdienst werden wir ermutigt zu freiem, dankbaren Dienst an Gottes Geschöpfen ( Barmer Theol. Erklärung von 1934, 2. These.)
- Gemeindekirche – nicht Amtskirche
„Wer unter euch Herr sein will, der sei der Diener aller ( Matthäus 20,26).“ Diese Weisung Jesu für unser Miteinander muss sich im Aufbau der Kirche widerspiegeln. Der presbyterial- synodale Aufbau unserer evangelischen Kirchen von unten nach oben stammt aus der reformierten, schweizerischen Tradition. Es gibt daher in reformierten Gemeinden eine Scheu – sicher im Einzelfall auch Überempfindlichkeiten – gegenüber Weisungen, die von übergeordneten Stellen kommen. Sie ist aber von der Überzeugung getragen, dass wir uns vor keiner Amtsautorität verstecken können, sondern als Gemeinde zu verantworten haben, was wir in der Nachfolge Jesu Christi tun und lassen.
- Der einzelne Mensch vor Gott – also hat Gott die Welt geliebt……..
„ Wie bekomme ich einen gnädigen Gott ?“ Diese Frage führte Martin Luther zu seinen zentralen biblisch- reformatorischen ( Wieder-) Entdeckungen. Wenn der Heidelberger Katechismus auf die Frage 1 „ Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ antwortet, „ dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir , sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre“, nimmt er das Anliegen Martin Luthers auf. So wichtig die Frage „ Wie bin ich persönlich mit Gott dran?“ ist, sie ist in Gottes Augen eine abgeleitete, zweite Frage.
Alles, was Gott durch Jesus Christus für uns tut und getan hat, ist getragen von Gottes Sorge, von seinem Anliegen: „ Wie bekomme ich eine ‚gnädige’, eine untereinander barmherzige Menschheit, eine Menschheit, die meinen Willen tut?“ Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich ( 2. Korinther 5,19). Jesus Christus ist Gottes Anspruch auf alle Bereiche unseres Lebens. Weder Wirtschaft, noch Politik, noch Beruf, noch Kunst, noch Freizeit sind davon aufgenommen. Friede mit Gott und Friede zwischen den Menschen sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille. Eine Christin, ein Christ sind insofern per definitionem keine Einzel-, sondern gesellschaftliche Wesen.
- Sind wir schon reformiert?
Diese Leitfrage für unser Gemeinde- und Kirche-Sein scheint uns angemessen. Nur eine Kirche, die bereit ist, sich ständig durch Gott erneuern und reformieren zu lassen, kann eine wirklich evangelische Kirche sein. Wir nehmen sehr ernst, was unsere Väter und Mütter aus ihrem Glauben heraus verbindlich zu sagen gewagt haben. Aber das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, ihr Bekenntnis an den Aussagen der Bibel zu prüfen und auf Fragen, die sich heute in unserer Zeit neu stellen, eigene Antworten gemeinsam zu wagen und zu verantworten. Reformierten Gemeinden und Kirchen ist es in der Regel leichter gefallen, die Barmer Theologische Erklärung von 1934 als ein verbindliches Bekenntnis der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus anzuerkennen. Auch in anderen aktuellen Fragen – etwa der Verteidigung mit Kernwaffen – eine Frage des Bekenntnisses zu sehen, ist reformierten Christinnen und Christen oftmals leichter gefallen als Christen und Christinnen aus Gemeinden anderer christlicher Kirchen.
- Altes Testament – Israel – Verhältnis zum Judentum
Uns Reformierten wird eine besondere Wertschätzung des Alten Testamentes einschließlich seiner Gebote nachgesagt. Dass in reformierten Gemeinden Wert auf regelmäßigen Psalmengesang gelegt wird, wird als ein Indiz dafür genommen. Inwiefern ein positiver Bezug zum Alten Testament und Israel mehr als ein frommes Vorurteil ist, dieser Nachfrage müssen wir uns stellen. Dass Bemühungen um eine Erneuerung des jüdisch-christlichen Verhältnisses in den letzten Jahrzehnten gerade in reformierten Gemeinden auf interessierte Ohren stoßen, ist vielleicht ein hoffungsvolles Zeichen.