2015, 04, 05, Mk 16,1-8
Liebe Gemeinde!
Ich weiß, ich habe die Osterpredigt schon oft so angefangen. Aber das macht nichts. Also: Gut, dass wir die fröhlichen Osterlieder haben. Beim Singen traut man sich einfach mehr Sachen als beim Reden. Singend traut man sich Sachen auszusprechen, da würdest Du in einer Unterhaltung bestimmt mehrfach hin und her überlegen, ob Du das genau so sagen sollst. Es ist leichter „Ich liebe dich“ zu singen, als das dem Menschen, den Du liebst, direkt zu sagen. Es ist leichter zu singen „Er ist erstanden, Halleluja, freut euch und singt, Halleluja“ als Deinen Nachbarn in der Schule anzustubsen und zu sagen: Hör mal, Jesus ist auferstanden, freust du Dich?
Ich glaube es gibt gute Gründe dafür, dass das mit dem Singen an Ostern leichter ist. Jesus ist auferstanden, er lebt. Das eine tolle Nachricht. Jedenfalls für sehr viele Menschen. Aber es ist auch so eine unglaubliche Nachricht. Kannst Du das glauben? Darfst Du das? Werden Dich manche nicht für verrückt erklären, wenn Du anfängst, darüber zu reden?
Singen tust Du in der Regel mit anderen zusammen. Du kannst Dich ein bisschen hinter dem Rücken der anderen verstecken. Und dann ist da noch die Melodie. Gesungen hört sich das gleich ganz anders an. Gut, dass wir die fröhlichen Osterlieder haben. Sie helfen uns, das Unglaubliche, das Gott an Jesus getan hat, an uns ranzulassen.
Gut, dass wir nicht nur die Lieder, gut das wir auch die Geschichten in der Bibel haben, die von Ostern erzählen. Die schlagen einen anderen Ton an. Die kommen uns auf eine andere Weise entgegen. Die fallen nicht gleich mit der Tür ins Haus. Die lassen uns Zeit: Zeit zum Trauern, zum Weinen; Zeit, um Fragen zu stellen; Zeit, um über unsere Zweifel zu sprechen, Zeit, um langsam zu begreifen, was da wirklich geschehen ist.
Drei Frauen machen sich auf den Weg zu Jesu Grab: Maria aus Magdala; Maria, die Mutter des Jakobus und Salome. Die drei waren dabei, als Jesus gekreuzigt wurde. Sie sind nicht weggelaufen wie Petrus und Andreas und Thomas und all die anderen. Sie haben zugesehen, nur von weitem. Näher ranzugehen haben sie sich nicht getraut. Aber das war schlimm genug.
Sie haben Jesus sehr lieb gehabt. Sie haben ihn richtig gut gekannt. Sie sind viel mit ihm durchs Land gezogen, vor allem durch ihre galiläische Heimat, wo Jesus auch aufgewachsen ist. Er ist ihr Freund gewesen. Sie haben noch nie jemand getroffen, der so von Gott geredet hat wie er. Sie waren so sicher, dass Gottes Reich jetzt sehr bald anbricht, so dass alle es sehen werden, so dass kein Mensch mehr leiden und traurig sein muss, so dass kein Volk mehr Krieg gegen das andere führt, kein Mensch mehr hungern muss und endlich Frieden ist, viellieicht sogar Frieden mit den verhassten Römern, die Israel noch immer besetzt halten.
Sie haben alle ihre Hoffnung auf Jesus gesetzt.Nun ist er tot, alles aus und vorbei. Es war so schrecklich, ihn leiden zu sehen und nichts tun zu können. Und dann dieser furchtbare Schrei, als er gestorben ist, diesen Schrei werden sie bis zum Ende ihres Lebens nicht aus den Ohren kriegen.
Die drei Frau waren auch dabei, als Jesus in dem Felsengrab von dem reichem Josef von Arimathia beerdigt wurde. Das ist auch ein Freund von Jesus. Er hat seine eigene Grabhöhle zur Verfügung gestellt. Das ist nett von ihm. Jesus selbst hätte sich so ein Grab nie leisten können.
Freitag nachmittag haben sie Jesus gekreuzigt. Gestern war Samstag, Schabbat, jüdischer Feiertag. Da soll man keine langen Fußmärsche machen. Da sind die beiden Marias und Salome schweren Herzens zu Hause geblieben. Aber heute ist Sonntag, der erste Tag der Woche, da müssen sie einfach zum Grab. Irgendwo muss man doch hin mit seiner Trauer, sonst wird man ja ganz verrückt. Ja, es stimmt, die Menschen sind unterschiedlich. Aber bei den meisten von uns ist das so, dass es uns zum Grab zieht, wenn ein Mensch gestorben ist, den wir lieb gehabt haben. Erst recht, wenn es mal gerade der dritte Tag ist.
Endlich ist es Sonntagmorgen. Die Frau brechen auf, so früh sie können. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Wass nimmst Du mit, wenn Du Dich auf den Weg zum Friedhof machst. Ein paar frische Blumen, einen Spößling zum einpflanzen, eine kleine Harke, um das Unkraut wegzumachen.
Die beiden Marias und Salome haben Öle dabei, die richtig gut duften. Damit wollen sie Jesus einsalben. In Israel macht man das so. Natürlich merkt der Mensch, der tot ist, nichts davon. Aber einem selbst tut das gut, wenigstens das Gefühl zu haben, dem anderen Menschen noch etwas Gutes tun zu können.
Sie sind fast bei der Grabhöhle angekommen, da zuckt es einer der Frauen durch den Kopf: „Mensch, der Riesenstein, den die Männer bei der Beerdigung vor die Grabhöhle gewälzt haben, den kriegen wir doch nie im Leben weg. Der ist viel zu schwer. O je, warum haben wir da bloß nicht dran gedacht?
Da sind sie auch schon beim Grab angekommen und plötzlich ist alles ganz anders, als sie sich das ausgemalt haben. Da ist kein Stein mehr vor der Grabhöhle. Das Grab steht offen. Die Frauen sehen sich ratlos an. Was ist das? Wer hat bloß den Stein von der Tür weggewälzt?
Die Frauen gehen ins Grab hinein. Auf der rechten Seite sitzt ein junger Mann. Er hat leuchtende, blendendweiße Kleidung an. Nein, dieser junge Mann hat keine Flügel, Und trotzdem ist da sofort der Gedanke: kann das tatsächlich ein Engel sein? Die Frauen sind geschockt. Wem von uns würde das an ihrer Stelle nicht so gehen? Der junge Mann spricht sie an. Natürlich hat er Er hat gemerkt, wie sie zusammengezuckt sind. Er sagt:
Fürchtet Euch nicht! Diesselben Worte wie die Engel bei den Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Der junge Mann spricht weiter: Ich weiß, wen ihr sucht. Ihr sucht Jesus von Nazareth. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Seht doch, dort ist der Platz, wo er gelegen hat. Geht, sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er euch vorangeht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es gesagt hat.
Und jetzt, und jetzt? Wie hättest Du reagiert! Wärst Du in lauten Jubel ausgebrochen? Wärst Du dem jungen Mann vor Freude um den Hals gefallen, Engel hin, Engel her.
Die drei Frauen reagieren völlig anders. Wundert dich das? Was hat der Mann mit der strahlendweißen Kleidung gesagt: Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Was soll das heißen, auferstanden? Wir waren doch dabei, als sie ihn beerdigt haben. Wir wissen, dass er tot ist. Wir lassen uns nichts vormachen.
Aber er ist tatsächlich nicht da. Die Leiche ist weg. Nicht einmal sein toter Körper ist mehr da. Es ist grauenhaft, unfassbar. Will der Mann uns völlig kirre machen?
Und was, wenn, ja wenn, wenn dieser Mann, Entschuldigung, der Engel, wenn der tatsächlich… „Er geht Euch voran nach Galiläa“, hat er gesagt, „dort werdet Ihr ihn sehen, wie er Euch gesagt hat.“ Ja es stimmt, Jesus hat davon gesprochen, ein paar Mal. Er hat gesagt: Ich gehe nach Jerusalem. Ich muss dahin, sie werden mich gefangen nehmen, ich werde leiden, ich werde sterben. – Ja, und er hat auch gesagt, ich werde am dritten Tag auferstehen. Aber davon wollten wir nichts hören. Jedes Mal, wenn Jesus davon angefangen hat, hat es einen Riesenstreß gegeben. Das konnte niemand von uns ertragen, den Gedanken, dass Jesus sterben wird.
Galiläa klingt gut. Dort sind wir zu Hause. In Galiläa hat alles angefangen. Dort am See Genezareth hat Jesus den Petrus und den Andreas direkt von ihren Netzen weggeholt und zu Menschenfischern gemacht. Dort in Galiläa haben auch wir ihn kennen gelernt und sind mit ihm gegangen. Wir waren dabei, als er gepredigt hat und die Leute an seinen Lippen hingen. Wir waren dabei, als er Menschen gesund gemacht hat. Wir waren dabei, als er sich bei den Zöllnern zum Essen eingeladen hat. Wir haben es erlebt, wie die Leute sich darüber aufgeregt haben.
Was gab das für ein Geschrei, als zum ersten Mal welche von den Prostituierten aufgetaucht sind und Jesus freundlich zu ihnen gewesen ist wie zu allen anderen auch. Was haben wir selber anfangs die Augen verdreht. Und dann war das alles auf einmal ganz normal und so völlig anders, wie wir uns das vorgestellt haben. Die Menschen sind aufgeblüht in seiner Gegenwart, niemand ist in seiner Nähe geblieben wie er war.
Es waren Sekundenbruchteile, in denen den Frauen alle diese Erinnerungen durch den Kopf geschossen sind. Dann ist ihr Blick wieder auf die leere Stelle gefallen, wo der tote Jesus gelegen hat und da ist es ihnen gegangen, wie wenn man aus eine wunderschönen Traum aufwacht.und sich die Augen reibt und nichts von all dem ist wahr, sondern es ist alles noch genauso schrecklich und bitter, wie es vorher gewesen ist. Das Grab ist leer und von dem toten, geliebten Menschen weit und breit keine Spur.
Die beiden Marias und Salome verlassen fluchtartig das Grab. Sie wollen nur noch weg von diesem unheimlichen Ort, der sie völlig konfus und wirr im Kopf macht.
Ihre Hände und Füße zittern, sie sind so verstört. Se wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Sie laufen weg, so schnell sie können. Sie gehen nicht zu den andern Jüngern, sie sagen kein Wort zu Petrus. Sie sagen niemandem etwas. Sie fürchten sich.
Wovor haben sie Angst? Warum sagen sie kein Wort? Was geht Ihnen durch den Kopf? Schwer zu sagen? Was meint ihr? Vielleicht, dass sie denken: Wenn der Engel die Wahrheit sagt, wenn Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden ist, wer ist dann Jesus? Ist es der, mit uns durch Galiläa gezogen sind, der uns so vertraut und nahe war? Kennen wir ihn wirklich? Wenn er auferstanden ist, gehört er dann nicht viel mehr auf Gottes Seite als zu uns Menschen? Wie wird das sein, wenn wir ihm von Neuem gegenüber stehen? Werden wir ihn erkennen? Was sollen wir ihm sagen? Was wird er zu uns sagen?
Fürchten sie sich, weil sie spüren, wie die Wirklichkeit unter ihren Füßen ins Wanken gerät? Sich vor dem Tod fürchten, Angst haben vor dem Sterben, das ist eine Sache. Aber wenn der Tod nicht mehr die sicherste Sache auf der Welt ist. Wenn nicht mal mehr darauf Verlass ist, dass wir alle, Reiche wie Arme sterben müssen? Was, wenn nichts mehr todsicher ist, wenn der Tod nicht der große Gleichmacher ist. Was, wenn das nicht die höchse Form von Gerchtigkeit ist, die wir uns vorstellen können: dass wir alle sterben müssen.
Vielleicht, dass den beiden Marias und Salome, dass ihnen einfach die Worte fehlen, dass sie nicht wissen, wie sie mit den anderen darüber reden sollen, dass sie nicht wissen, wie sie den Sturm, der in ihnen tobt, in Worte fassen sollen. Vieleicht, dass sie sich ganz einfach fürchten, dass die anderen sie auslachen werden.
Die ersten Ohrenzeuginnnen der Osterbotschaft sind nicht die großen, für uns unerreichbarne Glaubensheldinnen. Sie haben ihre eigenen Fragen. Und die sind manchmal gar nicht so weit weg von unseren Fragen. Sie brauchen Zeit, bis die Osterfreude anfängt, in ihnen Wurzeln zu schlagen. In vieler Hinsicht sitzen wir mit ihnen im gleichen Boot.
Wie die drei Frauen haben wir Jesus nicht hinter uns. Er ist kein Wesen aus der Vergangenheit. Wir haben Jesus vor uns. Er ist und er bleibt uns den entscheidenden Schritt voraus. Er geht uns voraus, nach Galiläa, nach Vlotho.
Wir haben die gleiche Verheißung, wir haben das gleiche Versprechen: Ihr werdet Jesus sehen, wie er es Euch gesagt hat. Es wird der Tag kommen, da wirst du Jesus sehen. Ja, genau, den Jesus über den Du im Kindergottesdienst so oft gehört hast. Den Jesus, wegen dem Du sonntags zum Gottesdienst kommst? Den Jesus, dem Du in Deinem Alltag recht und schlecht versuchst, nachzufolgen.
Es kommt der Tag, da wirst du Jesus sehen, ihm gegenüber stehen. Er wird dich ansprechen, Dich fragen. Du wirst ihn alles fragen dürfen, was Du auf dem Herzen hast.
Du wirst den sehen, der für Dich gestorben und auferstanden ist. Glaubst Du das? Bist Du darauf gefasst? Bist Du, wenn Du gleich nach Hause gehst, wenn der nächste Streit zwichen Dir und Deinen Geschwistern ausbricht, wenn du zu Deinem nächsten Bewerbungsgespräch gehst, darauf gefasst, dass Du auf den Tag zulebst, an dem Du Jesus sehen wirst? Mach uns darauf gefasst, Herr, dass Du kommen wirst, dass wir Dich sehen werden. Gut, das wir nicht alleine sind. Gut, dass wir gemeinsam die fröhlichen Osterlieder singen dürfen: Er ist erstanden, Halleluja, freut Euch und singt: Halleluja!
Amen