Bibeltext am Schluss des Artikels
Jesus betet für uns. Er hat das schon so oft getan.
Er betet heute für uns. Auch jetzt, in diesem Moment. Er wird damit nicht aufhören, wenn wir gleich wieder die Kirche verlassen und auseinandergehen. Mag sein an die Orte, von denen wir vorhin aufgebrochen sind, mag sein an ganz andere Orte, zu anderen Menschen,
oder an eine Ort, wo wir ganz für uns allein sind, mit unseren Gedanken, mit unseren Gefühlen,
notgedrungen allein, oder weil uns danach ist, weil wir das Alleinsein suchen.
Jesus wird morgen für Dich und mich beten.
Er betet für Dich, der Du diese Worte liest, obwohl Du hier in der Kirche nicht mit dabei warst.
Für uns beten, das ist Jesu wichtigste Arbeit, seitdem er nicht mehr sichtbar unter uns lebt, seitdem er zu seinem Vater im Himmel zurückgekehrt ist.
Er kommt seiner Gebetsarbeit nach, auch wenn wir so sehr mit uns selbst beschäftigt sind, dass wir ihn
völlig vergessen. Er betet für uns, auch wenn wir
im Traum, nicht daran denken, dass er es tut.
Er fragt uns nicht, ob wir damit einverstanden sind.
Er tut es, weil er wahrnimmt, wie sehr wir gerade das nötig haben, dass er seinen himmlischen Vater für uns bittet.
Er betet darum, dass wir eins sind,
so wie er und sein Vater eins sind.
Er nimmt wahr, wie anders das zwischen uns ist, wie weit wir von solchem Einssein entfernt sind.
Er leidet darunter, dass es so ist.
Aber er findet sich nicht damit ab.
Kann sein, dass es zwischen uns Streit, Uneinigkeit, Missverständnisse, Groll, Ärger, Hass, Verletzungen, Gleichgültigkeit, Desinteresse gibt, an die wir uns gewöhnt haben.
Kann sein, dass wir resigniert haben, dass wir uns damit abgefunden haben, dass es Menschen gibt, mit denen wir nicht auf einen Nenner kommen,
zwischen denen und uns es ruckzuck eskaliert,
die uns sofort kribbelig machen, zwischen denen und uns schlechte Schwingungen schwirren,
sobald sie den Raum betreten.
Mag sein, wir sind ausgepowert, ratlos, was wir tun könnten, damit etwas zwischen uns anders wird.
Mag sein, wir haben uns damit abgefunden:
notgedrungen, schulterzuckend.
Halbwegs erleichtert gehen wir uns aus dem Weg, reden Nichts oder nur das Nötigste miteinander, beschränken uns auf ein paar Höflichkeitsfloskeln.
Mag sein, dass wir das können, dass wir das notgedrungen oder durchaus, weil wir es nicht andres wollen, so handeln.
Jesus kann das nicht. Er wird das nicht tun.
Er wird nicht aufhören, für uns zu beten.
Er wird weiter, einen Tag nach dem anderen dafür beten dass, wir eins, dass wir eins werden,
so wie er und der Vater im Himmel eins sind.
Jesus betet ausdrücklich nicht für die Welt, für den Weltfrieden, für Einigkeit zwischen den Milliarden Menschen auf unserer Erde.
Jesus betet ausdrücklich für seine Schüler- und Schülerinnen. Er betet für alle, die ihr Vertrauen auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs setzen.
Er betet für uns Jesus-Leute, die er seine Schwestern und Brüder nennt.
Ob Jesus über all den Debatten über Infektionszahlen, über zu schnelle oder zu langsame Lockerungen die Orte aus dem Blick geraten, an denen weiter Kriege geführt werden, an denen Menschen weiter verhungern, gefoltert werden. Ob ihm die Ort aus dem Blick geraten sind, an dem Frauen vergewaltigt oder zur Prostitution gezwungen werden?
Wolh kaum. Mitnichten.
Und auch das ist Jesus keineswegs verborgen, das wir selbst immer beides gleichzeitig sind:
Wir sind Menschen, die durch ihren Glaube an den himmlische Vater miteinander verbunden sind.
Und wir sind gleichzeitig Bürger eines weltlichen Staates.
Wir zahlen Steuern und sind schon dadurch an den militärischen Konflikten beteiligt, in die unser Land verwickelt ist.
Wir sind mitverantwortlich für die Waffen, die bei uns produziert und dafür, wo sie eingesetzt werden.
Und trotzdem betet Jesus ausdrücklich für die Einheit von uns als Juden und Christen, als Menschen verschiedener Konfessionen, als Angehörige einer Landes- oder einer Freikirche,
als Christen und Christinnen in dieser kleinen Stadt Vlotho, für uns als Christen und Christinnen in dieser Gemeinde,
für uns als Menschen, die miteinander befreundet sind, die unter einem Dach zusammen leben, die als Nachbarn und Nachbarinnen versuchen, miteinander auszukommen.
Jesus betet dafür, dass wir eins sind: wir und auch die, die auf unser Wort hin, Vertrauen zu Gott fassen.
Wir sollen in Jesus und seinem Vater eins sein,
so, wie die beiden miteinander eins sind.
Damit die Welt glaubt, betet Jesus, damit die Welt darauf vertraut, dass Du mich in diese Welt gesandt hast.
Damit die Welt erkennt, dass Du mich liebst und die Deinen liebst, so wie Du mich geliebt hast.
So, wie der Vater Jesus liebt, so liebt der Vater und so liebt Jesus uns.
Schon vor Beginn der Welt ist da diese Liebe,
die sich selbst nicht genug ist, die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn.
Zwischen den beiden ist Raum. Sie haben Verlangen nach Wesen, mit denen sie sich einen können, die ihr Glück in dieser Liebe finden,
die dieser Liebe trauen und sich von ihr anstecken lassen,
auf deren Leben Glanz fällt durch die Liebe,
mit der der Vater den Sohn liebt und ihn ihn unsere Welt sendet.Jesus betet für uns,
für die Menschen, die Gott ihm gegeben hat.
Wenn ich Jesus beim Beten zuhöre, dann denke ich: Oh, so wichtig sind wir für ihn?
Wichtiger als wir selbst uns fühlen, wenn wir an unsere kleine Zahl denken.
Wenn wir daran denken, auf wie wackligen Füßen unser eigener Glaube steht,
wie unscheinbar unser Zeugnis für unseren Gott aussieht.
Wer nimmt schon Notiz von uns?
Wer nimmt wahr, was wir tun, was wir lassen.
Wer nimmt uns ernst, statt mitleidig über uns zu lächeln?
Jesus tut das.
Er nimmt uns ernster als wir selbst das tun.
Er nimmt ernst, wenn wir uneins sind, wenn Zwietracht zwischen uns ins Kraut schießt,
wenn wir uns schwer damit tun, uns über den Erfolg der anderen zu freuen,
wenn andere unsere Mühen nicht würdigen, keinen Blick dafür haben.
Jesus nimmt ernst, wenn ich glaube, über den anderen Bescheid zu wissen.
Er nimmt ernst, wie schwer mir das über die Lippen kommt, jemanden um Vergebung zu bitten,
wie schnell mein Hochmut mir ein Schnippchen schlägt und völlig unerwartet erneut zum Vorschein kommt.
Jesus leidet daran, uns selbst an all diesen Dingen leiden zu sehen.
Deshalb bittet er den Vater darum, dass die Liebe, mit der der Vater ihn liebt, uns erfüllt, zwischen uns Wurzeln schlägt.
Jesus leidet daran. Viel klarer als wir selbst sieht er, wenn wir es anderen durch unsere Zwietracht, durch unseren Groll, durch unseren Streit, unsere Eifersucht, unsere Gleichgültigkeit schwer machen, Gott seine Liebe zu glauben.
Jesus leidet an unserem Streit, an unserem Groll aufeinander, an unserer Gleichgültigkeit gegeneinander.
Er wird sich nie daran gewöhnen.
Er wird sich nie damit abfinden.
Aber der Jesus, der zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters sitzt, der betet für,
er betet nicht gegen uns.
Er betet nicht gegen unsere Uneinigkeit,
unsere Zwietracht.
Er klagt uns ihrer nicht an. Er hält uns das nicht vor.
Er macht uns kein schlechtes Gewissen.
Er hat keinen Gefallen an mir, wenn ich vor lauter Selbstzerknirschung meinen Nächsten mit meiner schlechten Laune auf die Nerven gehe.
Jesus traktiert mich nicht mit guten Ratschlägen.
Er gibt sich nicht dazu her, den Schiedsrichter zu spielen, wer von uns die besten Argumente hat,
um den anderen nachweisen zu können,
wie sehr er Unrecht hat.
Jesus appelliert nicht an unseren guten Willen,
nicht an unseren gesunden Menschenverstand,
nicht an unsere Fähigkeit nachzugeben,
die Klügere zu spielen.
Jesus betet nicht gegen uns.
Er betet nicht für mich und gegen Dich.
Er betet auch nicht für Dich und gegen mich.
Er betet gemeinsam für uns.
Er bittet seinen Vater im Himmel,
dass wir eins sind, dass wir eins werden.
Er bittet seinen Vater im Himmel darum,
Wunder zu tun.
Er bittet seinen Vater, dass er zuwege bringt,
woran wir den Glauben verloren haben.
Er bitten den Vater im Himmel, dass er in Bewegung bringt, was sich zwischen uns schon so lange eingeschliffen hat.
Jesus bittet ihn darum, dass die Liebe zwischen dem Vater und ihm zu einem Raum wird, von dem wir entdecken, dass der andere und wir, die andere und wir, schon gemeinsam in ihm sind:
In dem Raum der Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn, in dem wir uns anders wahrnehmen,
als wir uns bisher wahrgenommen haben,
in einem Raum, in dem wir beginnen, aufzuatmen,
in einem Raum, in dem wir wissen, dass wir nicht allein sind,
in dem wir gemeinsam von der Liebe umgeben sind, die den Vater gedrängt hat, seinen geliebten Sohn zu uns in die Welt zu senden, gemeinsam von der Liebe umgeben, die Jesus bis ans Kreuz getrieben hat.
Jesus bittet seinen Vater darum, dass ihre gemeinsame Liebe unsere Furcht austreibt,
dass diese Liebe für uns zu einem Raum wird,
in dem wir die Angst voreinander verlieren;
in dem wir nicht mehr das Gefühl haben,
uns gegen die anderen und gegen den anderen schützen zu müssen,
zu einem Raum, in dem meine Worte kein Gift mehr versprühen,
zu einem Raum, in der der andere nicht mehr sein muss, wie ich ihn haben will,
zu einem Raum, in dem die anderen anders sein darf als ich und ich anders als die andere,
ohne dass unsere Verschiedenheit einen Abgrund zwischen uns aufreißt,
ohne dass unsere Verschiedenheit uns voneinander wegtreibt.
Gesegnet sei der Sohn, der uns entzogen wurde,
um betend für uns einzutreten.
Gesegnet sei der Sohn, der nicht müde wird,
Tag für Tag aufs Neue für uns zu bitten:
dass wir eins sind, dass wir eins werden,
so, wie der Vater und der Sohn eins sind,
auf dass die Welt erkenne, dass Gott sie nicht verloren gibt,
auf dass wir erkennen, dass Gott uns nicht verloren gibt.
Amen, das heißt: Es werde wahr.
Johannes 17,20-26
20 Ich bitte aber nicht allein für sie,
sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden,
21 damit sie alle eins seien.
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein,
damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind,
23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne,
dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast,
damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast;
denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.
25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht;
ich aber kenne dich und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun,
damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.