Songtext am Ende des Artikels
„Ich bin schwach, wenn ich Dich ansehe, eine Säule der Wahrheit, die zu Staub zerfällt.“ Lucy Dacus war 22 Jahre alt, als sie 2018 diese Hymne an ihre verstorbene Oma geschrieben hat. In einem anderen Stück hat sie sich selbst als Nichtglaubende bezeichnet, jedenfalls nicht als eine Glaubende im traditionellen Sinn. Trotzdem hat Lucy Dacus in einem Interview für die Zeitschrift newsweek über „Pillar of Truth“ Folgendes gesagt:
„Das Stück handelt davon, meiner Großmutter beim Sterben zuzusehen, was eigentlich eine gute Erfahrung war. Ich habe viel von ihr gelernt. Sie ist auf ihren Tod mit solcher Anmut (grace) und Zufriedenheit und Ruhe zugegangen. Sie hat ihre eigene Beerdigung geplant. Sie hat die Lieder ausgesucht, die gespielt werden sollten. Sie hat neue Klavierlehrer für ihre Klavierschüler gefunden. Ich denke, die größte Lektion, die sie mich jemals gelehrt hat, war, wie man stirbt.
Deshalb ist viel von ihr in diesem Lied. Es gibt eine Vielzahl an biblischen Referenzen. Viele Bezüge auf Kirchenlieder. Wir haben die Hörner drin, weil die Hörner mich an einen Engelchor erinnern. Ein Blasorchester aus dem Himmel, dass sie willkommen heißt.
Falls Du, falls Sie Lust haben, weiterzulesen, würde ich empfehlen, sich „Pillar of Truth“ zunächst mal anzuhören. (https://www.youtube.com/watch?v=Gjg2-Yq-g3Q). Durch die nur geschriebenen Worte bekommst Du, bekommen Sie sonst möglicherweise einen schiefen Eindruck. Ja, Lucy Dacus ist ein Mensch, der seine Empfindungen reflektiert. Aber sie ist ganz bestimmt keine distanzierte, kühle Beobachterin.
Ja, es gibt in der Melodie des Liedes einen melancholischen Ton, aber gleichzeitig hat sie etwas sehr Kraftvolles: das, was von der Großmutter ausstrahlt und sich auf die Enkelin überträgt.
Die körperlichen Kräfte ihrer Oma sind im Schwinden. Das ist unübersehbar. Aber nicht ihre Großmutter, sich selbst nennt Lucy Dacus schwach. Ist sie schwach, weil sie sieht, ansehen muss, wie ihre Oma stirbt oder kommt sie sich im Vergleich zu ihrer sterbenden Oma als schwach vor?
In den Strophen von „Pillar of Truth“ kommt ihre Oma selbst zu Wort: „Herr, erbarm Dich meiner Nachkommen. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Denn sie wissen nicht, wer Du bist. Und sie wissen nicht, was sie tun sollen. Ich, der Anker, ich sinke langsam in die Dunkelheit, die noch unbekannt ist. Aber das verblassende Licht um mich herum ist voller Gesichter, die meinen Namen tragen.“
Eine der Menschen, wegen derer die sterbende Frau so betet, ist ihre Enkelin Lucy. Warum hat sie ihrer Oma diese Worte in den Mund gelegt? Einfach weil sie wusste, dass die so für ihre Familie betet? Freut sie sich, dass ihre Oma das tut, obwohl oder gerade weil sie von sich selbst sagt, dass sie nicht (mehr) glaubt? Will ich das gerne aus den Liedzeilen heraushören?
Wenn ich Lucy Dacus singen höre, dann muss ich an die Worte von Paulus an die Gemeinde in Korinth denken. Paulus liegt nicht im Sterben. Er wird von einer Krankheit geplagt. Paulus sagt, sie ist mein „Pfahl im Fleisch“. Vielleicht war es so etwas wie Epilepsie. Paulus hat Gott zwei Mal gebeten, ihn gesund zu machen, aber Gottes Antwort lautet so: ‚Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig… Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“
Es ist nichts Schönes, nichts Erhebendes an Krankheiten, an Schmerzen, an Verfolgung, an Angst, an Verzweifelt-sein. Was sollte daran auch schön, erhebend sein? Es geht nicht darum, Schwäche zu glorifizieren. Die Frage ist, was ist wirkliche Stärke? Was macht Lucy Dacus‘ Oma in den Augen ihrer Enkelin stark? Stark werden, stark sind weder Du noch ich dadurch, dass wir so tun, als ob es die Krankheit, die Schmerzen, die Angst, die zerrende Ungewissheit, das Gefühl, allein zu sein, den Gegenwind nicht gibt.
Paulus sagt: Stark bin ich dadurch, dass Christus mit seiner Stärke in mir wohnt. Es ist die Stärke dessen, der sich selber im Garten Gethsemane so vor dem gefürchtet hat, was vor ihm liegt, dass ihm der Schweiß wie Blutstropfen ausgebrochen ist. Und der am Kreuz für uns alle betet: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
„Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Ist dieser Satz nicht einfach nur verrückt? Lebe ich das? Im Moment fallen mir eher Beispiele ein, wo ich das nicht tue. Es ist leicht, die Stirne zu runzelen, dass bisher nur wenige das Angebot in Anspruch nehmen, andere wegen des Corona-Virus für sich einkaufen zu lassen. Aber bei mir ist der Wunsch, aus eigener Kraft stark zu sein, kein bisschen weniger ausgebildet. Ich wünsche mir, ruhig und gelassen, freundlich, souverän zu sein. Ich versuche, möglichst viele Menschen anzurufen, die ich im Moment nicht persönlich besuchen kann, Hilfe anzubieten, zuzuhören. Wiederholt bin ich das Gegenteil von gelassen: gereizt, dünnhäutiger als sonst, leicht verletzlich. Ich verkrieche mich in meinem Schneckenhaus und denke: Was soll Gott bloß mit Dir anfangen, wenn Du so dünnhäutig, gereizt, in einem verunsichert und rechthaberisch bist?“
Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Ich wünsche mir, dass ich gerade jetzt Gott vertraue, dass er die Wahrheit sagt; dass er mir zeigt, dass seine Kraft in mir mächtig ist, gerade wenn ich mich selber so schwach fühle.
Hören wir noch mal Lucy Dacus zu! Vera Rodrigues hat sie in einem Interview mit zwei Zitaten konfrontiert. Das erste stammt von Julien Baker, einer mit Lucy Dacus befreundeten Musikerin: „Hoffnung ist eine gefährliche Sache, weil in ihr die Möglichkeit der Enttäuschung steckt.“ Das zweite stammt von Lucy Dacus selbst: „Hoffnung ist die mächtigste Kraft, mit der Menschen in Wechselwirkung stehen können.“ Die Frage von Vera Rodrigues lautet: „Sag mir zwischen diesen beiden … noch eine weitere (Alternative). Glaubst Du, dass, wenn Du auf etwas hoffst, dass es da einen Mangel gibt.“ Lucy Dacus: „Ja, ich glaube, wenn du auf etwas hoffst, dann gibst du damit zu, dass dir etwas fehlt. Aber das ist beim Lernen genauso. Du weißt, dass du etwas nicht wissen musst, bevor du es lernen kannst. In ähnlicher Weise braucht es Demut, um hoffnungsvoll zu sein. Du machst dich selbst verletzlich, wenn du hoffnungsvoll bist. Aber das ist gleichzeitig die stärkste Sache, die du tun kannst. Diese beiden Worte hören sich an, als wären sie beide das Gegenteil voneinander, aber eigentlich sind sie dieselbe Sache.“ W. Reuter
Lyrics:
Lucy Dacus – Pillar of Truth
Your eyes are closing
Your words are broken
Your eyes are dry
A pillar of truth
Turning to dust
I am weak looking at you
A pillar of truth
Turning to dust
You’re a mother of a mother of a mother now
Raised in the age of the milkman
I can’t claim to understand
A pillar of truth
Turning to dust
I am weak looking at you
A pillar of truth
Turning to dust
For the shadows
For the sparrows
At my window
Lord, have mercy
On my descendants
For they know not
What they do
For they know not
Who you are
And they know not
What to do
I’m slowly sinking
Into darkness
Yet unknown
But the fading
Light around me
Is full of faces
Who carry my name
A pillar of truth
Turning to dust
I am weak looking at you
A pillar of truth
Turning to dust
My final hour
I once had sight
But now I’m blind
Oh, I tried to be
A second coming
And if I was
Nobody knew
If my throat can’t sing
Then my soul
Screams out to you
A pillar of truth
Turning to dust
A pillar of truth
Turning to dust