Predigt am Sylvesterabend, 31.12.2019, 17 Uhr

Liebe Gemeinde!

Jesus Christus, gestern und heute derselbe und in alle Ewigkeit. Am letzten Tag des alten Jahres rückt der Hebräerbriefapostel den in den Mittelpunkt, der an jedem Tag des Jahres die Mitte ist, ohne die wir nichts tun können: Ob wir daran denken, ob wir das vergessen oder verdrängen, ob wir in herzlichem Vertrauen auf ihn unseren Tag und morgen das neue Jahr beginnen, ob wir von Zweifeln angefressen sind, ob unsere Sorgen und unsere Angst uns den Blick auf ihn verstellen: der Messias Jesus trägt uns, er bürdet sich unsere Last auf. Wir leben in seiner Gegenwart, wir sind an allen Tagen bis ans Ende unserer Welt seine Zeitgenossen. Wir sind an keinem Tag ohne ihn in der Welt.

Vor ihm brauchen wir uns nicht zu verstellen. Er ist vertraut mit dem, wovor wir Angst haben: mit unserer Angst wegen der Krankheiten, die wir haben, wegen der Krankheiten, die wir bekommen könnten, mit unserer Angst zu sterben, mit unserer Angst vor dem Leben, mit unserer Angst allein zu sein, mit unserer Angst, nicht genug geliebt zu werden. Der Messias Jesus ist vertraut mit unserer Angst vor anderen Menschen, in unserer nächsten Umgebung, vor fremden Menschen, die wir gar nicht kennen und trotzdem als Bedrohung empfinden, mit unserer Angst wegen unserer Ratlosigkeit, den Streit zu beenden, der uns so belastet. Er ist vertraut mit unserer Angst, dass es uns nicht gelingt, Missverständnisse aufzuklären und aus dem Weg zu räumen

Er ist vertraut mit der Angst, unsere Rechnungen und unsere Schulden nicht bezahlen zu können, mit der Angst, keine Arbeit mehr zu finden, mit unserer Angst, dass die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft zu wenig und viel zu langam etwas gegen den Klimawandel unternehmen, mit unserer Angst, dass die Kriege und die Gewalt nicht weniger werden, weil das Vertrauen in die Macht der Waffen ungebrochen erscheint und die Aufträge an die Rüstungsunternehmen noch immer steigen.

Jesus Christus ist der, der sich heute und an jedem neuen Tag trauen wird, sein: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden, dagegenzusetzen.

Jesus Christus ist der, der uns aufgesucht und angesprochen hat, der Dich und mich aufgefordert hat, mit ihm zu kommen, ihm zu folgen, seine Wege mitzugehen: zu den Kranken, zu denen, um die andere einen Bogen machen, um sich mit denen an einen Tisch zu setzen, mit denen sonst keiner zusammen essen will.

Jesus hat uns seinen Geist versprochen, damit er uns die Kraft gibt, bei Jesus zu bleiben und nicht wegzulaufen, wenn es schwierig wird. Der Messias Jesus ist der, der uns mit anderen Menschen zusammenbringt, hier im Gottesdienst, am Abendmahlstisch, in der Gemeinde, an unserem Arbeitsplatz, beim Einkaufen, auf der Straße, an den Orten, an denen wir uns engagieren und uns mit anderen zusammentun. Jesus fragt uns nicht vorher, ob die Menschen, mit denen er uns zusammenbringt, uns sympathisch sind. Er vertraut darauf, dass Gottes Geist es schaffen wird, etwas zwischen uns in Gang zu bringen.

Der Messias Jesus und niemand sonst ist unser Friede. Er ist unsere Hoffnung, dass Frieden dort einkehrt, wo bisher Unfriede herrscht, wo wir an unseren Urteilen festhalten und es ihm so schwer machen, daran zu rütteln. Er ist und er bleibt derjenige, der einseitig, ohne Vorbedingungen zu stellen, ohne sich mit jemandem von uns vorher abzustimmen, ohne uns um Erlaubnis zu fragen, Frieden geschlossen hat: Frieden zwischen Gott und uns, Frieden zwischen dem, der uns ins Leben gerufen hat, der nicht aushält, was wir uns gegenseitig antun und dennoch in seiner Liebe nicht von uns lassen kann; Frieden zwischen seinem jüdischen Volk und uns Menschen aus allen übrigen Völkern und Nationen, die immer in der Versuchung stehen, in grundloser Eifersucht Israel seinen Platz in Gottes Herzen streitig zu machen, Frieden zwischen uns und denen, die wir lieben, Frieden zwischen uns und denen, die vor uns Angst haben, Frieden zwischen uns und denen, die wir hassen.

Dass der Messias Jesus sich nicht davon hat abbringen lassen, einseitig Frieden zu schließen, das hat ihm Spott eingebracht, Verachtung, Schande, das hat ihn sein Leben gekostet.

Dass Jesus das getan hat und dass Gott ihm Recht gegeben hat, dass er Jesus neues, unzerstörbares Leben geschenkt hat, davon haben wir im vergangenen Jahr gelebt, davon werden wir im neuen Jahr leben.

Bei allem, was wir im vergangenen Jahr getan, versucht und unterlassen haben, bei dem, was uns geglückt ist und bei dem, was uns gründich misslungen ist, haben wir Jesus Christus als unseren Fürsprecher an Gottes Seite gehabt, der sich für uns ins Zeug gelegt hat.

Bei allem, was wir im kommenden Jahr tun, was wir versuchen werden, bei allen Dingen, vor denen uns bange ist, ob wir sie in Angriff nehmen sollen, werden wir Jesus Christus als unseren Fürsprecher an Gottes Seite haben.

Jesus Christus ist der, der uns losschickt, der uns zeigt, dass wir gebraucht werden. Er lässt uns nicht im eigenen Saft verschmoren, er gibt uns genug Energie, um auch an diesem heutigen Tag gegen den Strom zu schwimmen. Er verspricht uns keinen Rosengarten, er schickt uns wie Schafe unter die Wölfe. Er will, dass wir auf Widerstand gefasst sind uns nicht vor Widerstand fürchten. Wohin er uns auch schickt, wir gehen mit seinem Versprechen, dass wir nicht allein gehen werden, dass er an unserer Seite ist, dass er uns andere Menschen an die Seite stellt, und dass wir in seinem Segen gehen, um für andere zum Segen zu werden.

Er schickt uns los, um für andere Menschen zu beten, nicht zuletzt für die, mit denen wir im Clinch liegen. Er schickt uns los, um unsere Hände und Füße zu gebrauchen, um mitanzupacken, um Menschen, ein gutes Wort zu sagen, um zuzuhören, um uns Verbündete zu suchen. Er schickt uns los, damit wir unsere festgezurrten Urteile auf die Probe stellen. Er schickt uns los, um um Vergebung zu bitten. Er schickt uns los, um anderen zu zeigen, dass wir ihnen nicht weiter grollen.

Er schickt uns los, um einander die Lasten zu tragen, um die Lasten der anderen zu tragen, um uns von ihnen bhelfen zu lassen, dass sie uns bei unseren eigenen Lasten tragen helfen. Er schickt uns los, um die Lasten der Kranken, der Alleinstehenden und derer, die vor lauter Arbeit nicht wissen, was sie zuerst tun sollen, zu tragen. Er schickt uns los, damit die Kranken, die Alleinstehenden, und die, die über beide Ohren mit Arbeit vollstehen, uns an unseren Lasten mittragen.

Er schickt uns los als Menschen die wissen, dass wir hier keine bleibende Stadt haben, sondern unterwegs nach Gottes neuer Stadt mit den offenen Toren sind, in der sich niemand mehr vor jemand anderem zu fürchten braucht.

Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren fortreißen, denn es ist gut, es ist schön, es ist ein köstlich Ding, dass das Herz durch Gnade fest werde. Mit welchen fremden Lehren kämpfst Du, mit welchen fremden Lehren kämpfen Sie, die versuchen, Dein Herz von Jesus Christus und seiner Gnade fortzureißen.

Mir sind folgende solcher Lehren in den Sinn gekommen:

Du musst nur fest genug an Dich selbst glauben, dann wirst Du schon Deine Ziele erreichen!

Ich möchte nichts geschenkt haben, ich will nur das, was ich mir verdient habe.

Erst komme ich, meine Familie, mein Land, und danach all die anderen.

Ich will auf keinen Fall irgendjemandem zur Last fallen.

Wenn jemand sich so verschuldet, dass er seine Kredite nicht mehr zurückzahlen kann, ist er selbst schuld, egal ob das ein Einzelner, eine Firma oder ein ganzes Land ist. Er, sie, es müssen selbst sehen, wie sie da wieder rauskommen.

Ich brauche mindestens eine Person unter mir, von der ich sagen kann: also so schlimm ist es mit mir doch noch nicht.

Ich tue niemandem etwas zuleide. Wenn alle ein wenig mehr so wie ich wären, ginge es friedlicher zwischen uns zu.

Schlimm genug, wenn Du an Dir selbst Zweifel hast und verunsichert bist, aber lass bloß die anderen nichts davon merken.

Ich weiß genau, dass ich 100% Recht habe.

Ich bin okay, Du bist okay, das ganze Gerede von Schuld und Sünde ist eine Erfindung der Kirche, um die Leute klein zu halten.

Es ist ein köstliches Ding, das Jahr, das heute zu Ende geht, zurück in Gottes Hände zu legen, alles, was gewesen ist, ohne Angst loszulassen:

Das Wissen, dass ich ein Jahr älter geworden und damit auch meinem Tod ein Jahr näher gerückt bin im Vertrauen darauf, dass Gott mir gnädig bleibt, zurück in seine Hände legen,

das Glück und den Schmerz, meinen Ärger und meinen Frust zurück in Gottes gnädige Hände legen,

das Glück ohne Angst loslassen, weil Du weißt, dass Du es nicht tiefgekühlt konservieren kannst, darauf vertrauend, es im neuen Jahr neu geschenkt zu bekommen,

keine Angst, dem Menschen zu vergeben, über den ich mich so geärgert habe und bei dem ich das Gefühl hatte, dass er noch nicht mal versucht, meinen Ärger zu verstehen, frei werden, ihm zu vergeben, im Wissen darum, dass Christus ihn liebt und ihm gnädig ist.

Keine Angst haben das loszulassen, was ich nicht mehr ändern kann,

nicht mehr mit mir hadern wegen dem, was ich mir so fest vorgenommen hatte und doch nur sehr bruckstückhaft geschafft habe,

nicht mehr mit Dir hadern wegen der Fehler, die Du auch in diesem Jahr nicht losgeworden bist, weil Gott Dich nicht für das liebt, was Du aus Dir gemacht hast, sondern als der, der Du bist, weil er gnädig mit Dir ist.

Es ist ein köstliches Ding, zu erleben, dass Gottes Gnade einen anderen Menschen frei macht, mir zu vergeben, was ich in meiner Eitelkeit und meiner Eifersucht angerichtet habe und was ich mir selber so schlecht verzeihen kann.

Und was ist mit dem Bereich der Politik und der Wirtschaft. Ist es nicht naiv, auch dort damit zu rechnen, dass Gottes Gnade und das gnädige barmherzige Verhalten von Menschen etwas ausrichten können? Der Kampf um Marktanteile ist gnädig und unbarmherzig, keine Frage. Aber welches Unternehmen kann es sich leisten, noch so geringe Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Konkurrenten nicht auszunutzen. Wenn es „gnädig“ auf den eigenen Vorteil verzichtet, werden die anderen das nutzen, und das Unternehmen wird selbst der Dumme sein.

Ja, ist das so, zwangsläufig, unabänderlich? Es ist leicht, eine 1:1-Umsetzung zwischen Güte und Vergebung im zwischen-menschlichen Bereich oder im Verhältnis zwischen Gott und uns und einem gnädigen, vergebenden Handeln in der Politik, in der Wirtschaft zu kritisieren und als naiv und blauäugig hinzustellen, Keine Frage. Aber wer will uns davon abhalten, nach gnädigeren Strukturen auch in diesen Bereichen wenigstens Ausschau zu halten? Ist die internationale Gemeinschaft im Fall von Flutkatastrophen und Erdbeben nicht bereit, materielle Unterstützung zu gewähren? Was nicht ausschließt, dass dabei auch wirtschaftiche Eigeninteressen eine Rolle spielen.

Der amerikanische Marshallplan zum Wiederaufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft oder die Luftbrücke nach Berlin nach dem Mauerbau 1961 waren bestimmt ebenfalls keine reinen Gnadenakte, auch sie beide von anderen wirtschaftlichen und politischen Interessen mitbeeinflusst, aber waren sie wirklich nichts anderes als wirtschaftliches und politisches Kalkül as usual?

Die Erlassjahrkampagne, die sich für einen Schuldenerlass der reichen gegenüber den hochverschuldeten dritte Weltländern einsetzt, Initiativen wie Oikokredit, die zinslose Kredite an Kleinunternehmen vergeben, mögen im Rahmen der gesamten Weltwirtschaft bisher kaum ins Gewicht fallen, aber sie beziehen sich auf das biblische Erlassjahr, den Schuldenerlass im 50. Jahr, indem der gnädige Gott gebietet eine zumindest gnädigere Struktur in den Bereich der wirschaftlichen Beziehungen einzuschalten. Was spricht dagegen, lieber auf solche noch so zarten Pflänzchen zu setzen als bedingungslos vor der angeblichen Eigengesetzlichkeit des kapitalistischen Wirtschaftens zu resignieren?

Es ist ein köstliches Ding, dass Jesus Christus unser Herz im neuen Jahr durch seine Gnade in allen Bereichen unseres Lebens festmacht, so dass wir in unserer Brust ein kräftig schlagendes fleischernes Herz tragen und keinen gefühllosen Steinbrocken.

Um ein solches Herz, Herr, bitten wir Dich von ganzer Seele, von ganzem Herzen, mit all unserem Verstand. Verwandle uns, mach uns neu durch Deine Gnade! Amen

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