Predigt über Hiob 14,1-17, Volkstrauertag

2019, 11, 17, Hiob 14,1-17                Ps 39 (eg 721) SL: Römer 8,18-23, HK123

450,1-3 Morgenglanz der Ewigkeit, 153,1-3 Der Himmel, der ist, 600,1-4 Meine engen Grenzen, 289,1-3 Nun lob, mein Seel, den Herren

Liebe Gemeinde!

Trotz allem, was passiert ist, Hiob hört nicht auf, mit Gott zu reden, zu versuchen, eine Antwort, wenigstens irgendeine Reaktion vom ihm zu bekommen. „Ist völlig sinnlos, was Du da tust!“ sagt seine Frau und verachtet ihren Mann, weil er sich nicht von Gott lossagt. Alle sieben Söhne und drei Töchter Hiobs sind tot. Der Sturm hat das Dach des Hauses zum Einsturz gebracht und die jungen Leute unter den Trümmern begraben.

Seine Rinder und die, die auf sie aufgepasst haben, wurden überfallen und sind tot. Seine Schafe sind in einem Feuer verbrannt. Seine Kamele und die Leute, die mit den Kameleln unterwegs waren, wurden überfallen und sind tot. Hiobs ganzer Körper vom Kopf bis zu den Fußsohlen ist mit eitrigen, juckenden Geschwüren übersät.

Mit seinen Freunden mag Hiob nicht mehr reden.

Er hat die Nase voll von ihnen. Dabei war anfangs alles gut. Als sie gehört haben, was passiert ist, sind seine Freunde gekommen. Sie haben geweint, als sie Hiob gesehen haben. Und dann haben sie nichts getan, außer dass sie sich sieben Tage und sieben Nächte zu Hiob in den Staub gesetzt haben. Sie haben keinen Ton gesagt, nicht ein Wort. Sie haben kein Wort über die Lippen gebracht. Sie haben ja gesehen, wie groß Hiobs Schmerz war. Aber dann, nachdem der erste von ihnen nicht länger an sich halten konnte, überschütten sie abwechselnd Hiob mit ihren Ratschlägen. Wenn jemand in kürzeser Zeit so viele und schwere Schläge trefffen, dann muss es dafür doch einen Grund geben: Geh in Dich, Hiob, denk nach! Warum könnte Gott so sauer auf Dich sein. Wie können Sie sich anmaßen, so über Hiob Bescheid zu wissen? Wie können sie so dreist sein, das nicht nur zu denken, sondern es Hiob in seinem Elend auch noch unter die Nase zu reiben? Hiob ist es so was von satt, mit seinen Freunden zu reden, sich weiter ihnen gegenüber rechtfertigen zu sollen.

Aber natürlich sind damit Hiobs eigene quälende Gedanken nicht verschwunden. Hiob redet weiter mit Gott in der Hoffnung, eine Antwort, wenigstens irgendeine Reaktion von ihm zu bekommen. Hiob redet und redet. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Hiob verspritzt Gift. Er erzählt Gott seine bitteren Gedanken. Er verschafft seiner verbitterten Seele Luft.

Kurz sind die Tage eines Menschen. Das einzige, wovon er satt wird, ist seine Unruhe, seine Rastlosigkeit. Er blüht auf und verwelkt wie eine Blume, er ist nicht mehr als ein flüchtiger Schatten. Und trotzdem lässt Du diesen Hauch von einem Geschöpf nicht in Ruhe, Du ziehst ihn vor Dir ins Gericht. Für einen Baum, für eine Pflanze gibt es Hoffnung. Ein Baum kann abgehauen werden, eine Blume kann vertrocknen und absterben. Aus dem Stumpf eines Baumes wachsen neue Triebe, nur ein wenig Wasser genügt, und aus der Wurzel einer Pflanzen kommen junge Sprosse hervor. Aber ein Mensch, wenn er stirbt, wo ist er? Er legt sich hin und steht nicht wieder auf.

Und Gott hört Hiob zu. Er fällt ihm nicht ins Wort. An keiner Stelle unterbricht er ihn. Gott giftet nicht zurück. Er denkt nicht daran, Hiob in seine Schranken zu verweisen.

Oder ist das nur Schönfärberei? Wäre es zutreffender, das so zu formulieren: Gott hüllt sich in Schweigen. Er lässt Hiob auflaufen. Er zeigt keinerlei Reaktion. Er überlässt Hiob seinen verzweifelten Gedanken, seinem Gefühl, ein Nichts zu sein.

Aber was kann Hiob dann von seiner Panik abhalten, von seinem beklemmenden Gefühl, dass da vielleicht gar niemand ist, dass er einfach nur ins Leere redet?

Gott wird Hiob antworten. Gott wird Hiob gegen seine Freunde recht geben, die sich angemaßt haben, besser über Hiob Bescheid zu wissen als er selbst das tut. Aber für heute, in unserem Predigttext hören wir allein Hiob zu.

In zweien unserer vier Evangelien stirbt Jesus am Kreuz mit den Worten „Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen? Jesus, während er qualvoll am Kreuz stirbt, betet. Er betet mit Worten aus dem 22. Psalm. Es sind nicht die Schlussworte des Psalmgebets. Der Beter im 22. Psalm bleibt nicht bei dieser Frage stehen. Aber Jesus kommt sterbend nicht weiter.als bis zu dieser Frage: Nach dem Zeugnis zweier unserer vier Evangelien stirbt Jesus mit dieser Frage, die in diesem Moment ohne eine für unsere Ohren hörbare Antwort bleibt.

Das ist schwer für uns, auszuhalten, Jesus dabei zuzuhören. Wie viel lieber hören wir Jesus zu, wenn er sagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden?“ Wieviel tröstlicher ist das für uns. Um wieviel schwerer ist es, dieses Gefühl, von Gott verlassen zu sein, sterbend am Kreuz auszuhalten? Um wieviel schwerer ist es für Hiob, dieses Gefühl, von Gott verlassen zu sein, auszuhalten, der so schrecklich viel und das noch in einer so kurzen Zeit verloren hat? Wir begehen diesen Sonntag in unserem Land als Volkstrauertag. Die offiziellen Worte, die heute in vielen Reden zu hören sein werden lauten: Wir gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt. Wir sagen, dass wir dabei an die Millionen Opfer der beiden Weltkriege denken, die beide von unserem Land ausgegangen sind. Wir sagen, dass wir dabei an die Opfer von Krieg und Gewalt heute denken, in so vielen Ländern dieser Erde, auch an die Menschen, die jetzt in diesen Minuten sterben, während wir Gottesdienst feiern.

Gott sei gedankt für jeden Mann, für jede Frau, bei der das anders ist, aber wie viele Opfer von Krieg und Gewalt haben sich mit ähnlichen Gedanken Gott gegenüber rumgeschlagen wie Hiob das tut, und wie viele tun das gerade in diesen Minuten.

Ist das nicht das Geringste, was sie von uns erwarten dürfen, dass wir uns nicht die Ohren verstopfen, dass wir ihnen nicht den Mund verbieten, dass wir versuchen, es auszuhalten, ihnen zuzuhören?

Muss unser Gedenken nicht zwangsläufig folgenlos, nicht mehr als ein routiniertes Ritual bleiben, wenn wir uns schon davor scheuen, den Menschen, denn Gott so weit entfernt scheint, die sich wie ein nichts fühlen, wenigstens zuzuhören?

In der Vlothoer Zeitung habe ich in dieser Woche gelesen, dass die Waffenexporte in Deutschland in diesem Jahr wohl ein neues Rekordhoch erreichen werden. Ist es nicht viel notwendiger, dass wir den Opfern zuhören, als weiter die Lügen zu glauben, dass noch mehr und perfektere Waffen gewaltsame Konflikte verringern würden?

Was ist mit unseren eigenen Hiobsgedanken? Wenn wir darüber erschrecken, dass wir sterbliche Menschen sind? Wenn uns Gott weit weg vorkommt? Wenn wir uns von ihm verlassen fühlen? Was hilft uns gegen unsere Hiobsgedanken? Dass wir versuchen, sie unter den Teppich zu kehren? Wohl kaum? Mit wem sprechen wir darüber? Gibt es andere Menschen, denen wir solche Gedanken anvertrauen? Gibt es andere Menschen, die wir darum bitten, für uns zu beten, wenn uns selbst die Kraft zum Beten fehlt?

Sprechen wir mit Gott über unsere Hiobsgedanken? Flehen wir Gott um Hilfe an, dass er uns durch solche Gedanken hindurchträgt, dass er sich als stärker erweist? Oder schämen wir uns wegen solcher Gedanken? Haben wir ein schlechtes Gewissen, weil wir denken, wir müssten die Starken spielen, weil wir denken, dass wir als fromme Menschen, als Menschen, die an Gott glauben, solche Gedanken gar nicht haben dürften?

Hiob gilt als Musterbeispiel für einen frommen Menschen, weil er, als die Katastrophen über ihn hereinbrechen gesagt hat: Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen, der Name des HERRN sei gelobt. So wie wir das in Blessed be your name singen: You give and take away, you give and take away, my heart will choose to say, blessed be your name. Du gibst und nimmst wieder weg, du gibst und nimmst wieder weg. Mein Herz es wählen zu sagen: Gesegnet sei dein Name.

Aber ist Hiob weniger fromm, wenn er sich mit Gott anlegt, wenn er mit ihm streitet, wenn er ihm Vorwürfe macht, wenn er Gott erzähllt, dass er sich wünscht, niemals geboren zu sein. Aber Gott hört seinem Hiob zu. Er verstopft sich nicht die Ohren. Er verbietet ihm nicht das Wort. Er weist ihn nicht zurecht. Gerade so, mit seiner Aufrichtigkeit, ist ihm Hiob recht.

Vergessen wir das nicht: das ist Gottes tägliches Brot: die Klagen all derjenigen unter seinen Menschenkindern auszuhalten, die sich von ihm verlassen fühlen, nicht über all die zu verzweifeln, die behaupten, dass mit dem Tod alles aus, dass kein Kraut dagegeben gewachsen sei. Das ist Jesu täglich Brot, sein „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden, dagegen zusetzen. Das ist das tägliche Brot dessen, der um unseretwillen das Gefühl, von Gott verlassen zu sein, durchgestanden hat.

Haben wir schon mal bedacht, wie oft sich Gott von uns verlassen fühlen mag, und bleibt uns dennoch treu, und hält es dennoch mit uns aus?

Ich möchte sie und uns einladen, dass wir uns die letzen fünf Verse unseres Tetxtes ein wenig genauer sehen. „Was sind wir Menschen für sterbliche, flüchtige, Wesen, hat Hiob Gott bisher vorgehalten. Jeder Baum, jede Pflanze hat mehr Hoffnung auf neues Leben, doch ein Mensch, der stirbt, er steht nicht wieder auf. Warum lässt Du uns, warum lässt Du mich nicht einfach Ruhe? Warum ziehst Du mich ins Gericht. Jetzt plötzlich schlägt Hiob für einige Verse einen anderen Ton an. Wenn Sie, wenn Du das Kapitel als Ganzes liest, wirst Du feststellen, dieser neue Ton scheint nur ein vorübergehendes Zwischenspiel. Er schafft es nicht, vielleicht ja nur noch nicht, gegen seine Klage anzukommen, wie kurz und flüchtig das Leben ist. Es ist auch kein grundsätzlich anderer Tonfall. Aber: Hiob traut sich jetzt, sein Herz zu öffnen. Er redet nicht mehr in Allgemeinplätzen von dem Menschen, er redet jetzt persönlich. Er erzählt Gott, was er sich wünscht, er lässt Gott erahnen, wonach er sich in seinem Inneren sehnt, auch wenn ihm die Sehnsucht unwirklich, wie ein unerfüllbarer Wunsch erscheint, aber er traut sich, ihn auszusprechen. Er gibt dem, wonach er sich sehnt, Raum.

Ach, wenn es doch so wäre, dass Du mich in der Unterwelt verbergen würdest, dort, wo die Toten zu Hause sind. Ich musste an die Zeile aus dem 139. Psalm denken: Bettete ich mich bei den Toten, siehe so bist Du auch da. Ach, wenn Du mich dort vor Deinem Wutschnauben verstecken würdest, solange, bis es vorbei ist. Denn wütend musst Du ja sein, sonst wären all diese Katastrophen nicht über mich und meine Familie hereingebrochen. Auch wenn Hiob nicht versteht, warum Gott wütend ist, und schon gar nicht, warum er auf ihn wütend sein sollte.

Ein Mensch, wenn er stirbt, wird er wieder aufleben? Woran denkt Hiob, wenn er das fragt: an die Menschen, die bereits gestorben sind? Oder an sich sellbst, der sich in seinem Elend bei lebendigem Leibe wie ein Toter fühlt und hofft, dass dieser Zustand irgendwann ein Ende nimmt, denn er fährt fort: Ich habe hier ausgehalten dieser Fron, in meinem Sklavendasein, ich habe ausgeharrt, dass meine Ablösung kommt.

Ach, wenn Du riefest, ich antwortete Dir, wenn Du Dich doch sehntest nach dem Werk deiner Hände. Das ist Hiob größte Sehnsucht, dass Gott sich nach ihm sehnt, dass er ihn vermisst, dass er nicht ohne ihn sein möchte, dass Hiobs Schritte für Gott zählen, dass er auf jeden einzelnen von ihnen achtet, auf das, was Hiob tut, worum er sich müht, und dass darüber die Fehler, die er dabei macht, in den Hintergrund treten, dass Gott ihm die Schuld, die er in seinem Tun als sündiger Mensch wie wir alle auf sich lädt, nicht vorhält, sondern sie in einem Beutel vor ihm versteckt, eine dicke Schicht von Kitt darüber klebt, so dass niemand mehr Zugriff darauf hat, weder Hiob noch irgendein anderer Mensch

Herr, unser Gott, erbarme Dich unser! Gedenke daran, dass wir Staub sind! Hör auf das Stöhnen und Wimmern Deiner geknechteten Kreatur! Hör unser Seufzen, hör unser Schreien! Deine Kinder sind wir, das Werk Deiner Hände. Wir brauchen Dich, denn Du bist unser Gott. Wir brauchen Deine Gegenwart.

Amen

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert