Predigt vom 24.8.2014

Liebe Gemeinde!
Gott hält Wort. Gott hält den Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat. Für immer und ewig. Zwischen Gott und uns gibt es nicht die Klausel wie in unseren Eheversprechen: bis dass der Tod uns scheidet. Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben uns von der Liebe Gottes scheiden kann, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn, sagt der Apostel Paulus.
Gott hält den Bund mit den Menschen seines jüdischen Volkes. Er hält den Bund, den er mit Abraham, Isaak und Jakob, aber auch mit Sara, Rebekka, Lea und Rachel geschlossen hat. Bis zum heutigen Tag hält Gott daran fest, dass er sich Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat, wie die Bibel sagt: Fürchte Dich nicht, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du gehörst mir.. Er tut es nicht auf Grund irgendwelcher jüdischen Verdienste, er lässt sich nicht durch irgendwelche jüdischen Irrwege davon abhalten. Er tut es aus reiner Liebe, weil er es will, weil er treu ist.
Wäre es nicht so, müssten wir ein Fragezeichen dahinter setzen, woher nehmen wir dann das Recht, unsere Gottesdienste jeden Sonntag mit den Worten zu beginnen: der Bund und Treue hält ewiglich und niemals preis gibt das Werk seiner Hände. Wenn Gott Abrahams leiblichen Nachkommen nicht Wort hält, wie sollen wir uns dann sicher sein, dass er uns Wort hält? Wie sollen wir uns dann sicher sein, dass Gott in Jesus Christus auf Golgatha sein letztgültiges Wort gesprochen hat, dass er sich die Sache vielleicht nicht  doch noch einmal überlegt?
Das ist für mich ein wesentlicher Grund dafür, dass wir einen besonderen Gottesdienst im Jahr als Israelsonntag feiern. Ich hoffe, unser Gottesdienst heute morgen hilft, dass wir uns auf diesen unlöslichen Zusammenhang besinnen: Gott hält seinen Bund, den er in Jesus Christus mit uns geschlossen hat, so wie er seinen Bund hält, den er mit seinem jüdischen Volk geschlossen hat. Dazu segne uns Gott diesen Gottesdienst, dass er uns von aller offenen und versteckten Furcht vor dem jüdischen Volk heilt, dass er uns vor allem offenen und versteckten Neid auf sein jüdisches Volk heilt, dass er uns von allem offenen und versteckten Hass auf sein jüdisches
Volk heilt, der aus diesem Neid entspringt.
Dazu segne uns Gott diesen Gottesdienst, dass wir darüber fröhlich werden, dass wir in Jesus einen Juden unseren Herrn nennen, der uns zu Geschwistern seiner leiblichen Geschwister macht. Empfinden Sie empfindest Du das als eine Provokation, dass ich meine Predigt mit solchen steilen Grundsatzbehauptungen beginne?
Gott hält Wort. Gott hält den Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat. Vielleicht können wir uns darauf einigen: Das sind keine Sätze, die sich für jeden Mann und jede Frau von selbst verstehen. Das sind keine Sätze, deren Wahrheit jederzeit für jeden Mann und jede Frau offen auf der Hand liegen. Es ist ein Zeichen von Gottvertrauen, wenn Du Dir einen dieser Sätze zu eigen machst, wenn Du ihn Dir nicht nur distanziert oder interessiert anhörst, wenn Du ihn selber in den Mund nimmst, wenn Du ihn gegenüber anderen vertrittst: Gott hält Wort, Gott hält den Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat. Ich glaube, auch darauf könnten wir uns schnell verständigen: Es ist ein Unterschied, ob Du einen solchen Satz aussprichst, wenn Du noch im Hochgefühl Deiner Hochzeitfeier lebst, die gerade mal eine Woche hinter Dir liegt, oder ob Du spürst, dass Du im Sterben liegst. Es ist ein Unterschied ob Du Gott mit einem solchen Satz Dein Vertrauen aussprichst, während Du Dein Enkelkind auf den Armen hältst, oder ob Du vor einem halben Jahr Dein erwachsenes Kind zu Grabe tragen musstest.
Gott hält Wort, Gott hält den Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat. Wie klingt das in den Ohren der Menschen, die im 2.  Königsbuch in so nüchternen, schonungslosen Worten über eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte des jüdischen Volkes berichten:
Am siebenten Tage des fünften Monats, das ist das neunzehnte Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babel, kam Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, als Feldhauptmann des Königs von Babel nach Jerusalem und verbrannte das Haus des HERRN und das Haus des Königs und alle Häuser in Jerusalem; alle großen Häuser verbrannte er mit Feuer. Und die ganze Heeresmacht der Chaldäer, die dem Obersten der Leibwache unterstand, riss die Mauern Jerusalems nieder.
Wie haben sich die Menschen gefühlt, die die jahrelange Belagerung Jerusalems durch die Babylonier und die anschließende Kapitulation der Stadt miterlebt haben, vom eigenen König schmählich im Stich gelassen, der Tempel, das Haus Gottes, in Trümmern, die Stadtmauern in Schutt und Asche, das eigene Haus zerstört? Wie hat sich die Mehrheit derjenigen gefühlt, die von den Babylonier gezwungen wurden, die Heimat zu verlassen, vor sich den langen beschwerliche Weg in die Fremde, vor sich eine völlig ungewisse Zukunft als Gefangene der Babylonier.
Verschiedene jüdische Antwortversuche in den Zeugnissen der Bibel und darüber hinaus kommen mir in den Sinn: Psalmworte, die direkt oder vielleicht auch nur indirekt auf die Erfahrung des Verlustes des Landes Bezug nehmen, das Gott den Nachfahren der hebräischen Sklaven in Ägypten versprochen hat: An den Flüssen Babylons saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen? Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen: wo ist nun dein Gott? Und daneben und dagegen eine nicht unterzukriegende Zuversicht, mitten in der größten inneren und äußeren Bedrängnis: Was betrübst Du dich meine Seele und bist so unruhig in mir, harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und meine Gott ist. Wenn der Herr die Gefangenen Israels erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden, dann wird unser Mund voll Lachen und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Da sind die prophetischen Stimme, wie die eines Jeremia, die Israel im Namen Gottes seine Schuld vorwerfen: dass ihr das Land, in das Gott Euch gebracht hat, wieder verlassen müsst, das kommt daher, dass ihr von Gott abgefallen seid, dass ihr eure Nächsten unterdrückt und ausbeutet, besonders die Schwächsten in eurem Land: die Witwen, die Waisen und die Fremdlinge, es kommt daher, dass ihr euch mit den Ägyptern verbündet, anstatt euch auf mein Wort zu verlasse. Eine jüdischen Mehrheit gibt dieser harten Kritik Recht, macht sie sich zu eigen. Sie zeichnet die Worte eines Jeremia, eines Jesajas, eines Amos, eines Micha getreulich auf und hält sie für alle kommenden Generationen als Zeugnis fest.
Da sind weitere, andere prophetische Stimmen, die Israel im Auftrag  Gottes zu trösten versuchen: Tröstet, tröstet, mein Volk, redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist. Im habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein klein wenig vor dir verborgen aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen.
Die jüdischen Weisen des Talmud werden Jahrhunderte später sagen, dass Gott mit seinem Volk ins Exil, in die Gefangenschaft nach Babylon gezogen ist, dass Gott selbst nicht frei ist, solange Israels Gefangene nicht frei sind. Sie werden sagen, dass Gott sich selbst zur Verantwortung zieht für das Feuer, dass er gegen Jerusalem losgelassen hat, als er den Babyloniern gestattet, solche Verwüstung in Jerusalem anzurichten.
Immer wieder muss ich an die Worte des jüdischen Philosophen und Theologen Martin Buber denken, der 1933, noch vor dem Holocaust beschrieben hat, was er fühlt und denkt, wenn er in Worms zunächst den christlichen Dom bewundert und dann auf dem jüdischen Friedhof steht. Er schreibt: Der Dom ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt. Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkommenen Freude. Dann gehe ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofgewirr zu der herrlichen Harmonie empor, und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf. Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt; man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat. Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern. Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist. Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen, nichts kann mich abbringen von der Gotteszeit Israels. Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber gekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden.“
Gott hält Wort. Gott hält fest an dem Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat, mit seinem jüdischen Volk und mit uns, mit allen Menschen dieser Erde. Wir hören diese Sätze heute während der bewaffnete Konflikt zwischen der Hamas und dem Staat Israel andauert. Eine dauerhafte Waffenruhe scheint in weiter Ferne. Die Hamas hat damit begonnen, Menschen zu erschießen, die sie der Zusammenarbeit mit Israel verdächtigt. Mindestens 18 Personen wurden in den vergangen Tagen öffentlich hingerichtet. Währenddessen wird in Israel in Regierung, Armee und der Öffentlichkeit darüber diskutiert, wie man sich des weiter andauernden Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen erwehren soll, ob die Bombardisierung des Gazastreifens die Sicherheit bringt, nach der sich die Menschen in Israel sehnen, ob sie zu verantworten ist.
Der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat sich hinter eine Unterschriftenkampagne mit weltweit über 1,5 Millionen Unterschriften gestellt, in der zu einem Boykott von Unternehmen aufgerufen wird, die mit den als illegal bezeichneten jüdiischen Siedlungen im Westjordanland Geschäfte machen. Sein Artikel, in dem er, wie ich finde unzulässige Parallelen zwischen der früheren südafrikanischen Apartheidspolitik gegenüber der schwarzen Bevölkerung und dem Vorgehen der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern zieht, ist in der linksliberalen israelischen Zeitung Haaretz veröffentlicht am 14. August veröffentlicht worden. Jede Frau, jeder Mann kann ihn im Internet nachlesen.
Die antisemitischen Parolen und Ausschreitungen in unserem Land haben im Zusammenhang antiisraelischer Protestkundgebungen und Demonstrationen in den letzten Wochen ein neues Ausmaß erreicht. Ich empfinde sie keineswegs als so überraschend und unerwartet, wie  das in unseren Medien dargestellt wird. Sie kommen auch nicht nur aus dem muslimischen Teil unserer Bevölkerung. Sie spiegeln die Gedanken und Überzeugungen von erschreckend vielen Menschen in der deutschen Mehrheitsbevölkerung wieder
.
Die Menschen in Israel und im Gazastreifen erleben diesen Konflikt nicht wie wir aus der sicheren Beobachterposition im fernen Europa heraus. Israel, die größte Gefahr für den Weltfrieden, während im benachbarten Syrien die Zahl der Opfer des Bürgerkriegs die Grenze von 190000 überschritten hat, während die USA und ihre westlichen Verbündeten über den militärischen Schutz von Kurden, Christen und Muslimen gegen die Isis beratschlagen, was sollst Du Dich mit solchen irren Äußerungen herumschlagen, wenn Dir bei einem Alarm wegen der Raketen aus Gaza nur weniger als eine Minute Zeit bleibt, um Dich und Deine Familie in Sicherheit zu bringen.
Wo sollen die Menschen im Gazastreifen, die von der Hamas als lebende Schutzschilde missbraucht werden, hin mit ihrem Hass und ihrer Verzweiflung über die Zerstörung ihrer Häuser und die verletzten und getöteten Freunde und Verwandte. Wie soll ich mich darüber wundern, dass sie ihren Hass nicht gegen die Hamas, sondern gegen das militärisch überlegene Israel richten?
Gott hält Wort. Gott hält fest an dem Bund, den er mit seinen Menschen geschlossen hat. Woran sollen wir uns bei so viel Zerrissenheit halten, wenn nicht daran, dass wir uns diese Sätze nicht ausgedacht haben, sondern, dass es Zusagen sind, die uns unser Gott gegeben hat, damit wir sie beim Wort nehmen, damit wir uns von ihnen in Bewegung setzen lassen. Lasst uns unseren Gott um Kraft, Mut und Beharrungsvermögen bitten für alle, die sich weigern, sich die Hoffnung auf ein Zusammenleben von Israelis und Palästinensern ausreden zu lassen, für alle, die in Israel, im Gazastreifen, im Westjordanland diese Hoffnungen zu leben versuchen, trotz allem was geschehen ist.
Lasst uns Gott bitten für alle diplomatischen Verhandlungen, die ohne das Spektakel der Medienöffentlichkeit geführt werden. Lasst uns Gott bitten, dass er uns vor allem leichtfertigen Reden und Urteilen vor billigen, selbstgerechten Ratschlägen bewahrt.
Lasst uns Gott bitten für unser Miteinander als Juden und Christen, um Lust und Neugier uns kennen zu lernen, um Lust und Neugier auf das zu hören, was Gott den jeweils anderen von sich zu erkennen gegeben hat. Lasst uns Gott bitten, dass er uns hilft auf dem Weg, uns als Geschwister zu entdecken, damit anzufangen, endlich wie Geschwister zu leben, die füreinander einstehen auch in dem, wo sich fremd bleiben, wie Geschwister, die einander nicht ausgesucht haben, aber die von ihrem gemeinsamen Gott ausgesucht und füreinander bestimmt wurden.
Amen

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