Zittern und Ekstase hatte sie ergriffen…
und sie sagten niemandem etwas.
Osterpredigt, 17.04.2022, Markus 16,1-8
Liebe Gemeinde!
Drei Frauen machen sich
auf den Weg zum Grab. Sie waren dabei,
als Jesus gekreuzigt wurde.
Sie haben seinem stundenlangen
Todeskampf zugesehen.
Sie wissen, wo Jesu Grab ist.
Zwei von ihnen waren da und
haben gesehen, wie Joseph von Arimathäa
den Leichnam Jesu in einem Felsengrab
beerdigt und einen Stein
vor den Eingang gewälzt hat.
Der gestrige Schabbat war so anders als all die anderen, die sie vorher erlebt haben.
Sonst ist immer ein bisschen Wehmut dabei,
wenn am Samstag bei Sonnenuntergang
die Schabbatlampe erlischt.
Dieses Mal ist es für sie der Zeitpunkt,
endlich wieder etwas tun zu können,
wenigstens etwas Öl einkaufen,
um den toten Jesus damit einzusalben.
Sie werden damit den Verwesungsprozess
nicht aufhalten, das wissen sie nur zu gut.
Aber sie werden den toten Jesus
noch einmal berühren können.
Mit dem Öl werden sie ein
Zeichen setzen auf das,
was sie von Gott erhoffen:
dem Geruch des Todes zum Tode den
Geruch des Lebens zum Leben entgegensetzen.
Sehr viel früher als wir heute Morgen,
die Sonne ist gerade erst aufgegangen,
haben sich die beiden Marias und Salome auf den Weg gemacht.
Es ist der erste Tag der Woche.
Ob sie unterwegs, als ihnen die frühen Sonnenstrahlen ins Gesicht blinzelten,
für einen Moment daran gedacht haben,
dass Gott am 1. Schöpfungstag sein Werk damit begonnen hat, dass er das Licht erschaffen
und es von der Finsternis getrennt hat?
Wahrscheinlich nicht.
Sie sind fast an ihrem Ziel angekommen,
da fällt es ihnen ein:
„Oh, wer wird uns bloß den schweren Stein
vor dem Eingang wegwälzen?“
Sie blicken auf und – das Grab ist offen.
Der Stein ist schon weggewälzt.
Die drei Frauen zögern nicht, ins Grab hineinzugehen.
Nur noch ein paar Schritte und sie werden
vor dem toten Jesus stehen.
Auf der rechten Seite des Felsengrabs sitzt
ein Mann. Er muss noch sehr jung sein.
Das Gewand, das er anhat, leuchtet.
Die Frauen erschrecken, sie erschrecken sehr.
Natürlich tun sie das.
Niemandem von uns würde das anders gehen.
Aber der Jüngling in seinem leuchtenden Gewand sagt: Erschreckt nicht!
Sie haben einander noch nie gesehen,
aber da ist kein Zweifel,
er weiß, warum sie da sind:
Ihr sucht Jesus, den aus Nazareth,
den, den sie gekreuzigt haben
Er ist auferweckt worden,
Er ist nicht hier.
Seht da, der Ort, wo sie ihn hingelegt hatten.
Es war so schrecklich, dem sterbenden Jesus zuzusehen.
Nie werden sie die Psalmworte vergessen,
mit denen Jesus, kurz bevor er mit einem Schrei gestorben ist, nach Gott gerufen hat.
Es war schrecklich zu sehen, wie Joseph von Arimathäa den leblosen, ins Leichentuch gehüllten Körper ins Grab gelegt hat.
Aber das hier jetzt? Kein Jesus. Nichts.
Nichts als ein leeres Grab.
Er ist nicht hier. Ihr kommt zu spät.
Er ist auferweckt worden.
Wer tot ist, ist tot. Der kommt nicht wieder.
Aus und vorbei. Das ist so endgültig.
Um uns zu trösten, sagen wir Sätze wie:
In unserer Erinnerung wirst Du immer weiterleben. Wir werden Dich nie vergessen.
Und wissen genau, dass der Tag kommt,
an dem wir selber sterben werden.
Nichts ist gewisser, als das wir sterben werden.
Nichts ist sicherer als der Tod.
Wenigstens das ist sicher,
wenigstens das bleibt niemandem erspart.
NEIN; sagt der Jüngling im leuchtenden Gewand.
Er ist nicht hier. Ihr irrt Euch!
Er ist auferweckt worden.
Er spricht von etwas, das in der Welt der beiden Marias und Salome nicht vorgesehen ist.
Er spricht von etwas, das in der Welt, in der wir leben, nicht vorgesehen ist,
für das es keinen Platz zu geben scheint.
Er ist nicht hier. Ihr irrt Euch.
Er ist auferweckt worden.
Gott hat das getan.
Es sind nur vier Worte.
Aber an ihnen hängt alles.
Das ist der Kern der Osterbotschaft.
Das ist die frohe Botschaft von Ostern:
dass das wahr ist, dass wir das glauben dürfen,
allein daran hängt,
dass Ostern ein fröhliches Fest ist,
dass es einen Grund zum Feiern gibt,
dass es trotz allem etwas gibt, das dafür spricht,
die Hoffnung nicht preiszugeben,
einen Grund, nicht darüber zu verzweifeln,
dass die Welt ist, wie sie ist, gewalttätig,
machtbesessen, angstzerfressen,
gleichgültig, unfähig, etwas zu fühlen,
einen Grund, nicht darüber zu verzweifeln, dass wir so oft das Gegenteil tun von dem,
was wir wollen, was von dem, was helfen würde,
was nötig wäre.
Geht und sagt seinen Schülern und dem Petrus,
dass er euch vorangeht nach Galiläa,
dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
Bleibt nicht hier, geht!
Hier gibt es nichts zu suchen.
Hier gibt es nichts für euch zu finden.
Hier, bei den Toten, ist Jesus nicht.
Er geht euch voraus nach Galiläa.
Was ist das für ein abrupter Umschlag für ihr Denken, für ihr Wahrnehmen, für ihr Fühlen.
Eben noch glaubten sie sich nur noch wenige Schritte von dem toten Jesus entfernt,
den zu salben sie gekommen waren,
erleichtert, dass ihre Sorge wegen des großen Steins sich in Luft aufgelöst hatte,
und nun:
Er ist nicht hier, er lebt.
Er geht euch voran,
so wie er es immer getan hat.
Ihr müsst nicht andres tun als das,
was ihr immer getan habt,
seinen Fußstapfen folgen.
Ihr seid nicht verwaist, ihr seid nicht ohne Hirten,
ihr müsst Euch nicht den Kopf zerbrechen,
wie das ohne ihn weitergehen soll,
ob das überhaupt und wenn ja wie in irgendeiner Form ohne ihn weitergehen soll.
Er geht Euch voran nach Galiläa,
dorthin, wo alles angefangen hat,
dorthin, wo er Euch gesucht und gefunden und aufgefordert hat mit ihm zu gehen.
Er hat Euch gesagt, dass er das tun wird,
dann, wenn ihr alle an ihm Anstoß genommen habt, dann wenn Gott ihn von den Toten auferweckt hat.
Ja, es stimmt, das hat Jesus gesagt.
Aber wer von ihnen hat Jesus
damals verstanden?
Wer hat das wahrhaben wollen,
dass es genau so passieren wird?
Eines tun die drei Frauen.
Sie bleiben nicht. Sie gehen.
Sie stellen auch keine weiteren Fragen.
Sie verlassen das leere Grab.
Nein, sie gehen nicht, sie fliehen.
Sie wollen nur noch so schnell wie möglich weg von hier, weg von den Toten,
weg von dort, wo Jesus nicht zu finden ist,
weg von dort, wo Jesus nichts zu suchen hat
und sie deshalb auch nicht mehr.
Sie fliehen, weil sie noch immer
sehr erschrocken sind.
Zittern und Ekstase haben sie ergriffen.
Sie zittern und sie sind außer sich.
Sie fliehen weg vom Grab,
aber sie führen ihren Auftrag nicht aus.
Sie sagen niemandem etwas,
denn sie fürchten sich.
Sie fürchten sich nicht davor,
von Petrus und den anderen
Schülern und Freunden ausgelacht,
für nicht voll genommen zu werden,
wenn sie ihnen von dem erzählen,
was sie am Grab Jesu gehört
und gesehen haben.
Sie fürchten sich, weil sie nicht an dem zweifeln,
was ihnen Gottes Bote gesagt hat,
weil sie wissen, dass er die Wahrheit sagt.
Sie fürchten sich vor dem,
was die Osterbotschaft ins Wanken bringt,
dass dem Tod kein Respekt gebührt,
weil Gott seine Macht gebrochen hat,
dass denen, die mit dem Tod drohen,
kein Respekt gebührt, nicht dem Kaiser in Rom,
nicht dem Pontius Pilatus,
nicht seinen Soldaten,
dass Gott tatsächlich mehr zu gehorchen ist als den Menschen,
mehr als Deinem
gesunden Menschenverstand,
mehr als Deinen schlechten Erfahrungen,
die Du mit anderen Menschen gemacht hast,
mehr als Deinen festgezurrten Urteilen über andere Menschen,
mehr als Deinen festgezurrten Urteilen
über Dich selbst,
mehr als Deinen Sorgen,
mehr als Deiner Menschenfurcht,
mehr als Deiner Angst zu vergeben,
mehr als Deinen „Ach, wer hört schon auf mich, wer hört schon auf uns, die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“ Sätzen.
Er ist nicht hier. Er ist auferweckt worden.
Weil der Gottesbote, den sie statt dem toten Jesus im Grab angetroffen haben,
dass alles bei ihnen ins Wanken gebracht hat,
weil sie seinen Worten Glauben schenken,
deshalb hat die drei Frauen
Zittern und Ekstase ergriffen.
Es ist ein gutes Zeichen, dass es so ist.
Ohne dieses Zittern,
ohne dieses Außer-sich-Sein keine Osterfreude,
nicht bei den drei Frauen, und nicht bei uns.
Wie lange hat es bei den beiden Marias und Salome gedauert, bis aus ihrem Zittern und Außer-sich-Sein vor Furcht,
ein Zittern und Außer-sich-Sein der Freude geworden ist, vielleicht eine zunächst ganz stille,
verhaltene, eine sehr behutsam sich Bahn brechende Freude.
Wie lange hat es gedauert,
bis sie ihr Schweigen gebrochen,
bis sie doch zu Petrus und den anderen hingegangen und ihnen von dem berichtet haben, was sie gehört und gesehen haben?
Sind es Stunden, sind es Tage gewesen.
Wir wissen es nicht.
Aber sie haben es schließlich getan.
Ihr Zeugnis hat seinen Weg gefunden,
hat Widerstände überwunden,
Glauben geweckt, Kreise geschlagen.
Wird es der aus Zittern und Außer-sich-Sein geborenen Osterfreude gelingen, sich ihren Weg zu den Herzen, zu Sinnen und Verstand der Menschen zu bahnen, die bei uns Zuflucht suchen,
den Weg zu ihren Männern, Vätern, Brüdern, die ihr Land gegen die russischen Bomben verteidigen,
zu den russischen Soldaten, dass ihnen aufgeht, dass sie einer ungerechten, falschen Sache dienen,
zu den Menschen, die in den Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer darum bangen, die Überfahrt zu erreichen und einen Hafen zu erreichen, der sie aufnehmen wird,
zu den Menschen in Jemen,
die am verhungern sind.
Wie viel Widerstände hat die Osterbotschaft dabei zu überwinden und wie wird es ihr gelingen,
sie aus dem Weg zu räumen?
Wie lange wird die aus Zittern und Außer-sich-Sein geborene Osterfreude brauchen,
um sich einen Weg zu unseren Herzen,
zu unseren Sinnen und Verstand zu bahnen?
Wie viel Widerstände hat die Osterbotschaft dabei zu überwinden und wie wird es ihr gelingen, sie aus dem Weg zu räumen?
Er ist nicht hier. Er ist nicht bei den Toten.
Er ist auferweckt worden.
Er geht euch voran.
Ach, HERR, weck bei uns das heilsame Zittern und Außer-sich-Sein,
dass wir anfangen, Deiner Macht über den Tod Glauben zu schenken!
Amen
Bibeltext Markus 16,1-8
1 Und als der Schabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und die
Maria des Jakobus und Salome duftende Öle, um hinzugingen und ihn zu salben.
2 Und sie kommen sehr früh am ersten Tag der Woche zum Grab,
als die Sonne aufgegangen war.
3 Und sie sagten zueinander:
Wer wird uns den Stein vom dem Eingang des Grabes wegwälzen?
4 Und als sie aufblickten, sahen sie, dass der Stein weggewälzt war:
Er war nämlich sehr groß.
5 Und als sie ins Grab hineingingen, sahen sie auf der rechten Seite einen Jüngling sitzen,
der hatte ein leuchtendes Gewand an, und sie erschraken.
6 Er aber sagt zu ihnen: Erschreckt nicht!
Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten: Er ist auferweckt worden.
Er ist nicht hier. Seht da, der Ort, wo sie ihn hingelegt hatten!
7 Aber geht und sagt seinen Schülern und dem Petrus,
dass er euch vorangeht nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab,
denn Zittern und Ekstase hatte sie ergriffen.
Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.