Predigt über Lk 23,32-49, Karfreitag, 15.4.2022
Liebe Gemeinde!
Jesus stirbt in der Öffentlichkeit,
nicht im eigenen Haus, in der eigenen Wohnung,
die er nie besessen hat
seit er sein Elternhaus verlassen hat.
Er stirbt inmitten der Menschen,
für die er gekommen ist.
Jede, jeder der will,
kann ihm beim Sterben zusehen,
sich sein eigenes Bild von ihm machen,
sein Urteil über ihn aussprechen,
ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen,
sagen, was ihm in den Sinn kommt,
ob er sich im Klaren über das ist,
was er da tut, oder nicht.
Jesus wird es hören.
Er kann sich die Ohren nicht zuhalten.
Er ist nicht der Einzige,
der an diesem Tag hingerichtet wird.
Jesus wird zusammen mit
zwei Verbrechern gekreuzigt.
Haben Sie Menschen ausgeraubt,
haben Sie gemordet, beides?
Jesus wird zwischen diesen
beiden Männern sterben.
Warum sollte Jesu Kreuz höher gewesen sein als das der beiden Verbrecher,
auch wenn Maler das wieder und wieder so dargestellt haben?
Die Henker tun das, wofür sie bezahlt werden.
Sie nageln die drei zum Tode Verurteilten
auf den Holzbalken fest und richten
die Kreuze auf.
Noch bevor irgendeiner der Anwesenden
etwas sagt, hören wir Jesu Stimme.
Jesus betet. Er betet nicht in Gedanken.
Wenigstens die, die nahe zum Kreuz stehen,
müssen seine Worte gehört haben:
Vater, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun.
Wie oft habe ich diese Worte Jesu schon zitiert?
Beim Predigen im Gottesdienst,
im Gemeindebrief, wenn ich mit anderen über den Glauben gesprochen habe,
wenn ich allein und angefochten war und mich gefragt habt, was ich denn glauben,
woran ich mich halten soll.
Ich bin dem Lukas-Evangelisten so dankbar,
dass er uns diese Worte überliefert hat.
Für mich gehören sie zu den wichtigsten Worten in unserer Bibel.
Wer von uns, Ihr, Sie, ich könnte schon sagen, wenn wir eines gewaltsamen Todes sterben müssten, was wir beten würden,
ob wir überhaupt zum Beten fähig wären,
ob da nicht nur Angst und Panik
oder Wut auf die wären, die uns das antun.
Nicht, dass das egal wäre.
Nicht, dass ich mir nicht wünschen würde,
dann wenigstens stumm schreiend beten zu können.
Aber wichtig, tröstlich, rettend ist es,
heute, jetzt und an jeden neuen Tag glauben zu dürfen,
dass Jesu so und nicht anders gebetet hat,
und dass er es gerade sterbend am Kreuz getan hat, in den Minuten,
in denen es am allerschwersten war.
im Angesicht seiner Feinde,
im Angesicht seiner Spötter,
im Angesicht derer, die sich einen Dreck darum scheren, wie ihm zumute ist.
Es gibt eine Liebe,
die es mit der Angst aufnimmt,
vor dem, was uns bedroht,
mit der Angst, klein und ohnmächtig und ausgeliefert zu sein.
Es gibt eine Liebe, die dem Hass gewachsen ist,
die es mit dem Hass aufnimmt,
mit dem Hass auf die Feinde,
und mit dem Hass,
der uns von den Feinden entgegenschlägt.
Es gibt eine Quelle, um aus ihr die Kraft zum Vergeben zu schöpfen,
die sich den Grenzen, die wir dem Vergeben ziehen, widersetzt,
eine Quelle, um aus ihr die Kraft zum Vergeben zu schöpfen,
die sich nicht einschüchtern lässt,
wenn wir Sätze sagen wie:
„Also das ist einfach zu krass,
so was kann man nicht vergeben.“
Diese Kraftquelle ist die Liebe,
mit der Jesus, sterbend am Kreuz
zum Vater im Himmel für seine Feinde eintritt.
Jesu Fürbitte für seine Feinde ist an keine Bedingung geknüpft.
Jesus bittet nicht: Vater, lass sie doch erkennen, was sie mir da antun, was sie für eine Schuld auf sich laden, und wenn sie’s dann endlich erkennen und von Herzen bereuen und Dich um Gnade anflehen, dann vergib ihnen.
Jesus denkt nicht in den Kategorien, die uns so vertraut und natürlich vorkommen: Wie soll ich Dir das vergeben, Du kapierst ja überhaupt nicht, wie sehr Du mich verletzt hast, wie weh mir das getan hat, was Du gesagt, wie Du hinter meinem Rücken über mich vom Leder gezogen bist. Und was das Schlimmste ist, Du gibst Dir noch nicht mal ein klitzekleines bisschen Mühe, es zu verstehen.
Jesus ist es fremd, so zu denken,
so zu empfinden
Jesus betet schlicht und einfach und ohne jeden Vorbehalt für die Menschen, die ihm das antun:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun. Sie sind dazu nicht in der Lage, Jesus spekuliert auch nicht über die Gründe, warum Menschen ihm das antun.
Was nicht heißt, dass es keine Gründe gibt,
und auch nicht heißen muss, dass Jesus zu den Gründen der Menschen nichts zu sagen wüsste,
wenn wir ihn danach fragen.
Aber sie haben keinen Einfluss auf sein Gebet.
Jesus betet für die Menschen, um das was sie am dringendsten brauchen:
Eine Vergebung, die an keine Bedingung geknüpft ist, eine Vergebung, die keiner von ihnen verdient hat, eine Vergebung,
die sich niemand an die eigene Brust wird heften können,
die Vergebung, die allein imstande ist, Leben zu retten, die Vergebung, die allein die Kraft,
dein und mein Leben zu ändern:
Steig eilends herab von deinem Baum, Zachäus,
heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein.
Als sein Sohn noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Beten ist Reden mit Gott, er ist der einzige Adressat unseres Gebets.
Er und nicht die Menschen, die Jesu Hinrichtung beiwohnen sind der Adressat der Bitte,
die Jesus an seinen Vater richtet.
Wenig verwunderlich also: Mögen einige der Umstehenden verstanden haben, was Jesus da gebetet hat, die Masse der Menschen macht scheinbar unberührt weiter:
Die Soldaten, die an den drei zum Tode Verurteilten die grausame Handwerksarbeit der Kreuzigung vollzogen haben, sind vollauf damit beschäftigt per Los festzulegen, wer welches der Kleidungsstücke Jesu für sich behalten darf.
Zu abgebrüht, zu abgestumpft, zu gewöhnt an ihr Henkershandwerk, um irgendwelche sentimentalen Mitleidsanwallungen für die Sterbenden zu empfinden?
Der zynische Spott über Jesus geht gerade erst los. Erst die Anführer, dann die Soldaten und schließlich auch noch einer der beiden Verbrecher, die zusammen mit Jesus gekreuzigt wurden.
Der Grundtenor ist bei allen Dreien so ziemlich derselbe: Bist Du wirklich der Messias, dann rette doch gefälligst Dich selbst. Aber das kannst Du ja nicht. Und natürlich uns, Deine Mitgekreuzigten, genauso wenig.
Das können sie einfach nicht begreifen, nicht verstehen, das spottet ihrer eingefleischten Logik, dass Gottes Messias nicht gekommen ist, sein eigenes Leben zu retten, sondern es herzuschenken, an andere, um sie retten, sie zu gewinnen, auch sie, gerade sie,
die sich über ihn das Maul zerreißen.
Da sind auch noch die Menschen aus dem Volk,
die einfach dastehen und sich das alles ansehen.
Schwer zu sagen, warum genau sie gekommen sind. Ist es mehr als reine, makabre Schaulust, die sie nach Golgatha, zur Schädelstätte gezogen hat? Sie sagen ja nichts. Aus ihrem Mund kommt kein abfälliges Wort. Sie beteiligen sich nicht am Spott der anderen. Sie haben keinen der Nägel durch Jesu Hände und Füße getrieben. Mag sein, dass sie mit einigem Ekel den rohen Henkersknechten zu sehen, wie sie um Jesu Kleider losen, aber sie werden definitiv nichts unternehmen, um das Ganze hier aufzuhalten, dem Rad in die Speichen zu fallen.
Da sind auch noch alle die, die Jesus persönlich gekannt haben, auch die Frauen, die Jesus schon in Galiläa gefolgt sind.
Ganz am Schluss werden auch sie erwähnt.
Sie stehen von ferne in den hintersten Reihen
und sehen das alle an.
Wo sind Sie, wo bist Du, wo bin ich,
wo sind wir unterm Kreuz Jesu zu finden?
Ich seh mich nicht als einen der Spötter,
als einen der Henkersknechte,
die um Jesu Kleider losen,
ich seh mich als einen von denen,
die schweigend zusehen, nicht schaulustig,
angewidert, aufgewühlt, voller Schrecken,
aber stumm, schweigend,
ohne Partei zu ergreifen.
Und ich denke daran, wie ich mich in den letzten Wochen erlebt habe.
Ich bin erschrocken, es wühlt mich auf,
dass unser Bundestag im Handumdrehen beschließt, 100 Milliarden in die Rüstung zu
investieren, dass darüber nachgedacht wird,
die Aufrüstung in der Verfassung festzuschreiben,
ich denke, dass uns das alles dem Frieden in der Ukraine, in der Welt keinen Schritt weiterbringen wird, und mir fehlt der Mumm, öffentlich in diese Richtung Stellung zu beziehen.
Ich bin einer von denen, für die Jesus sich genötigt sieht, sterbend zu beten:
Vater vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun.
Es sind andere, die es wagen,
für Jesus Partei zu ergreifen,
solche, von denen wir es kaum erwartet hätten.
Einer der beiden mit Jesus gekreuzigten Verbrecher weist den anderen Gekreuzigten,
der Jesus gelästert und verspottet hat, zurecht:
Wir hängen hier, wegen dem, was wir getan haben, aber dieser hat nichts Unrechtes getan.
Er wendet sich an Jesus und bittet ihn:
Gedenke an mich,
wenn du in dein Reich kommst.
Und Jesus antwortet ihm:
Amen, ich sage dir,
heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Der andere, der für Jesus Partei ergreift
ist ausgerechnet der römische Hauptmann.
Nachdem von 12 Uhr Mittags bis um 3 Uhr nachmittags sich die Sonne geweigert hat,
Jesus weiter beim Sterben zuzusehen,
nachdem im Tempel, wo es Jesus immer wieder hingezogen hat, der Vorhang zum Allerheiligsten zerrissen ist,
nachdem der Hauptmann gehört und gesehen hat, wie Jesus noch einmal all seine Kraft zusammen genommen und mit den Worten aus dem Gebetsbuch seines jüdischen Volkes,
die auch wir vorhin gebet haben,
sein Leben ausgehaucht hat,
ist er der einzige, der in diesem Moment Gott die Ehre gibt, ihn für das lobt, was er gehört und
gesehen hat:
Dieser Mensch war wahrhaftig ein Gerechter,
ein in Gottes Augen Bewährter,
einer der im Leben und im Sterben für den Gott Israels Zeugnis abgelegt hat,
für den Gott, dem diese Welt gehört,
der das Sagen hat,
der der Gott aller seiner Menschen ist.
Sind diese beiden so grundverschiedenen Menschen, der Verbrecher an Jesu Seite und der römische Hauptmann, erste Anzeichen, dass Jesu Bitte an seinen Vater nicht vergeblich ist,
dass dieses Gebet Macht hat, Menschen von Grund auf zu verändern.
Und da ist noch eine weitere Andeutung, dass Jesu Gebet schon jetzt erste, zarte Früchte treibt:
Zum ersten Mal kommt Bewegung in die Menge der Menschen, die all die Stunden nur dagestanden und schweigend zugesehen haben,
von denen keiner außer Gott wusste,
was in ihren Köpfen vorgeht.
Jetzt schlagen sie sich an die Brust,
gegen zu erkennen, dass sie wissen,
dass sie keine Unbeteiligten sind,
dass sie in all das, was hier geschieht verwickelt,
dass sie keine Unschuldigen sind.
Sie gehen weg, sie verlassen diesen Ort,
sie kehren um.
Vater vergib ihnen,
denn sie wissen nicht was sie tun.
So betet Jesus für alle, die um sein Kreuz versammelt sind, so betet er auch für uns.
HERR, unser Gott, wir bitten Dich,
dass das Gebet Deines Sohnes nicht vergeblich bleibt, dass es uns aus unserer Erstarrung löst,
dass es unser Zaudern beendet,
dass es uns frei macht, umzukehren,
Deinen Schritten zu folgen,
in Jesu Fußspuren zu treten,
es gerne, mit fröhlichem Herzen zu tun.
Amen