„In his hands he’s got you and me, brother, in his hands he’s got the whole world in his hands.“
„Ain’t got no earth, ain’t got no faith, ain’t got no touch, ain’t got no god, ain’t got no love,…but …I got my feet, I got my toes, I got my liver, got my blood, got life, I got my life.“
„Wir sind schon Gottes Kinder, es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“ (1.Johannes 3,2a.b.)
Es war noch nicht offenbar geworden, was und wer sie sein würde, als Eunice Kathleen Waymon, die später den Künstlernamen Nina Simone annahm, am 12. Februar 1933 in Tryon, North Carolina, als sechstes von acht Kindern einer Methodistenpredigerin und eines gelernten Herrenfriseurs, ehemals Entertainer und dann Gelegenheitsarbeiter, geboren wurde. Sie war noch sehr jung, als sich ihre Begabung für die Musik zeigte. Gospelmusik hat sie mit der Muttermilch aufgesogen. Im Alter von sechs war sie die reguläre Orgelspielerin in den Gemeindegottesdiensten. Es gab Tage, an denen Ihre Mutter sagte: „Ich weiß noch nicht, ob wir abends was zu essen haben werden, aber ich werde dafür beten.“ Ihre Eltern waren arm, aber sie haben alles dafür getan, dass Ihre begabte Tochter Klavierstunden nehmen konnte. Mit elf Jahren sollte sie in der Stadthalle vorspielen und wurde zum ersten Mal darauf gestoßen, was es bedeutet, nicht nur jung und begabt, sondern gleichzeitig schwarz zu sein. Die Veranstalter wiesen ihre Eltern an, sich zurück auf die hinteren Plätze zu begehen. Eunice hat nicht eher mit Spielen begonnen, bis dass ihre Eltern wieder in der ersten Reihe Platz nehmen durften.
Ihr größter Traum und Herzenswunsch war es, die erste schwarze amerikanische Konzertpianistin zu werden. Gescheitert ist sie bei der Aufnahmeprüfung zum Konservatorium trotz jahrelangen intensiven Übens und ihrer außerordentlichen Begabung allein an ihrer schwarzen Hautfarbe. Um sich selbst ernähren und ihre in Not geratenen Eltern finanziell unterstützen zu können, hat sie angefangen, in Bars und kleinen Clubs aufzutreten, mehr notgedrungen als aus Überzeugung mit einer Mischung aus Blues, Jazz, Gospel und Pop. Eine kleine Plattenfirma wurde auf sie aufmerksam, und sie nahm in New York mit „Litte girl blue“ das erste ihrer vielen, vielen Alben auf.
Sie hat ihre wachsende Popularität genutzt, um in den 60er Jahren die Bürgerrechtsbewegungen in den USA zu unterstützen. Sie war davon überzeugt, dass Musik die Kraft hat, gesellschaftliche Veränderungen zu beeinflussen. Nina Simone hat Protestsongs wie „To be young, gifted and black“ und „Mississippi Goddamn“ geschrieben. Sie hat an den gewaltfreien Märschen von Martin Luther King teilgenommen. Als er am 4. April 1968 ermordet wurde, hat sie in ihrer Trauer das Stück „The king of love is dead“ geschrieben.
Die wachsende Zahl an schwarzen Opfern hat ihre Sympathie für Malcom X und die Black Panthers, die auch Formen schwarzer Gegengewalt für legitim hielten, verstärkt. Nina Simone wurde vom FBI observiert. Hinzu kam die Ausbeutung durch die Musikindustrie, die sie bis zum Ende ihres Lebens bekämpft und gleichwohl unter ihr gelitten hat.
1972 hat sie den bedrückenden Rassismus in den USA nicht mehr ausgehalten. Zunächst hat sie sich nach Barbados zurückgezogen, um dann auf die Empfehlung von Miriam Mikeba hin 1974 mit ihrer Tochter Lisa nach Afrika zu gehen. In Liberia hat sie sich zum ersten Mal wirklich frei und zu Hause gefühlt. So sehr, dass sie sich in einer Bar ihrer Kleider entledigt und stundenlang getanzt hat. Auch über diese Erfahrung hat sie ein Stück geschrieben.„Liberian Calypso“ enthält die Zeilen: „Lauf Nina, so schnell wie Du kannst, Gott hält dich an der Hand.“
Nach sieben Jahren Pause hat Nina Simone auch wieder bejubelte Konzerte in den USA gegeben. Dorthin zurückgekehrt ist sie nie. Die letzten zehn Lebensjahre hat sie in Südfrankreich verbracht, wo sie nach langem Krebsleiden 2003 verstorben ist.
„Ich habe kein Glück mit meinen (beiden) Ehen gehabt“, hat sie 1999, vier Jahre vor ihrem Tod, Tim Sebastian in einem Fernsehinterview für die BBC geantwortet, „aber durchaus mit meinen Geliebten.“ Nichtsdestotrotz hat sie ihr Leben lang darauf gehofft, den Mann zu finden, der sie so nimmt, wie sie ist, als den Star und die Frau, als den Menschen, bei dem die Musik immer die erste Stelle vor allem anderen einnehmen wird.
Die 66-Jährige hat erzählt, dass ihr jeden Morgen das von Marian Anderson gesungene „O ruh in dem HERRN, warte geduldig auf ihn und er wird dir geben, wonach dein Herz verlangt“ (Felix M. Bartholdy) die Inspiration gibt, den Tag zu beginnen, und dass sie nicht an eine, sondern an alle Religionen glaubt, „weil sie für die Schafe nötig sind, weil sie etwas brauchen, dem sie folgen können.“
Wie passt das alles zusammen, was ich bisher über sie zusammengetragen habe? Kann man sowohl den Spiritual-Klassiker „Er hält die ganze Welt in seiner Hand“ auf so bewegende Weise singen, dass er für mich klingt, als hörte ich ihn zum ersten Mal, als auch auf nicht weniger bewegende Weise die aus dem Hippie-Musical „Hair“ stammenden Zeilen von „I ain’t got no/I got life“? „… ich hab keine Schuhe,… kein Geld,… keine Arbeit, … kein Zuhause, … keinen Glauben, keinen Gott, keine Liebe,… alles, was ich habe und was mir niemand nehmen kann, das ist mein Körper mit all seinen einzelnen Teilen, alles, was ich habe, ist mein Leben.“ Offensichtlich kann Nina Simone das.
Eine CD von ihr, auf der letzteres Stück enthalten ist, besitze ich seit Jahren. Im Abspann des Films Systemsprenger (siehe Gemeindebrief 2020/3) erneut auf dieses Stück zu stoßen, war für mich ein Schlüssel, die Musik und die Person Nina Simone, noch einmal neu zu hören und in mich aufzunehmen, so als hätte ich ihr vorher noch nie richtig zugehört.
Ja, ich denke, es stimmt, was andere über sie gesagt haben, ohne dass sie dem widersprochen hat. Die ganze Nina Simone bekommst Du, wenn sie auf die Bühne geht. Seht Euch einige ihrer Auftritte auf YouTube an, vielleicht vor allem, wie sie „Stars“ von Janis Ian 1976 auf dem Jazz-Festival in Montreux vor einem weitgehend weißen Publikum interpretier! Da ist so viel von dem drin, was sie ausmacht: die Würde, der Stolz, die Autorität, die Energie und Freude, die sie aus ihrer großen Begabung, der Musik, bezieht, und die Traurigkeit, die Verletzlichkeit, die sie sich auf der Bühne zu zeigen traut, ihren Schmerz darüber, dass die Welt noch immer so ist, wie sie ist, noch lange nicht so, wie sie nach Gottes Willen sein soll.
Wir sind schon Gottes Kinder: mitsamt unseren Gebrochenheiten und Widersprüchen, unserem Glück, unseren Ängsten, unserem Gelingen, unserer ungestillten Sehnsucht. Aber es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wenn es aber offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Wir werden eins sein, wie der Vater und der Sohn eins sind. Winfried Reuter