Ich gieße meinen Geist aus auf alles Fleisch!

Predigt Pfingsten, 31.05.2020, Apostelgeschichte 2,1-18

Predigttext am Ende der Predigt

 

 

 

Liebe Gemeinde!

Als der fünfzigste Tag endlich gekommen war,

das waren sie alle zusammen an einem Ort.

Warten lohnt sich! „Hoffentlich“, sagst Du.

Warten fällt schwer. Warte ist eine Kunst,

heißt es, die man lernen muss.

Warten kann Dich zermürben,

es kann Dich zur Verzweiflung treiben.

Warten kann Dich mit stiller Vorfreude erfüllen.

Pfingsten, fünzigster Tag nach dem Passahfest,

dem Tag der Befreiung aus der Sklaverei,

Pfingsten, fünfzig Tage nach Ostern, dem Tag, an dem Gott Jesus von den Toten auferweckt hat.

Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österliche Zeit,

denn unser Heil hat Gott bereit, Halleluja, Halleluja. Das haben wir sonst immer gemeinsam an Ostern im Gottesdienst gesungen.

In diesem Jahre habe ich es allein draußen vor der Kirche zur Gitarre gespielt,

bis dann Sascha von den Wohngruppen des

Wittekindshofes, wie versprochen, doch noch gekommen ist und gemeinsam mit mir gesungen hat.

Was ist in den Wochen, die seitdem vergangen sind, alles passiert? Was hat Dich beschäftigt?

Was hat die anderen beschäftigt?

Was hat Dich berührt?

Warten darauf, seltsamerweise, wieder in die Schule zu dürfen, wo Dir sonst die Ferien nicht lange genug sein können, es satt haben, sich so oft alleine mit den Aufgaben rumschlagen müssen.

Zittern, ob der Betrieb überleben wird,

ob die Angestellten ihren Lohn bekommen werden.

Noch immer hoffen, Du findest jemand,

der Dir einne Kredit gibt, um Dich selbständig zu machen, um Deine Kinder und Deine Frau nach Deutschland holen zu können.

Darauf warten, wieder Gottesdienst feiern zu können, wieder gemeinsam singen dürfen,

wieder zur Chorprobe gehen.

Nervös sein, wie das wird, das erste Mal wieder mit den Katechumenen, mit den Konfis sprechen.

Brautpaare, die den so lange erwarteten Hochzeitstag auf unbestimmte Zeit verschieben müssen.

Ausharren, ob sich doch die Grenzen öffnen, um endlich das Flüchtlingslager verlassen zu dürfen.

Der Tag, an dem ich nach fast drei Monaten das erste Mal wieder meine Mutter sehen werde.

Bangen, wie’s mit meinem Kind weitergeht.

Pfingsten, 50. Tag nach Pessach,

50. Tag nach Ostern.

Menschen, die sich auf den Weg nach Jerusalem gemacht haben, zum Teil von weit her.

Wenn es geht, möglichst gemeinsam mit allen aus der Familie.

So viele Jerusalemer Juden, die sich auf diesen Tag gefreut haben, auf das Wochenfest, das zweite große Fest im Jahr, das Fest der Weizenernte,

und gleichzeitig das Fest, an dem Israel feiert,

dass Gott seinem Volk am Sinai die Tora,

seine Gebote geschenkt hat.

Vorfreude auf das Treffen mit bekannten und unbekannten Menschen.

Vorfreude auf das gemeinsame Essen,

auf das gemeinsame Gott loben.

Erleichterung bei den Brautpaaren, dass die siebenwöchige Fastenzeit zu Ende geht und endlich wieder geheiratet werden darf.

Und dann die Schüler und Schülerinnen Jesu.Sie warten auf den Tag, den Jesus ihnen angekündigt hat, unmittelbar bevor er ihnen entzogen wurde,

unmittelbar bevor er zurück zu seinem Vater im Himmel gegangen ist:

Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird,

und werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem und ganz Judäa und Samaria und bis an die Enden der Erde.

Wann wird es soweit sein? Und wie wird das sein?

Was für Menschen werden wir sein, wenn das passiert, wenn Gottes Geist über uns kommt?

Als der fünfzigste Tag endlich gekommen war,

da geschieht’s.

Gott gießt seinen Geist aus. Plötzlich erfüllt ein Brausen wie von einem gewaltigen Wind das Haus, in dem sie alle beisammen sind.

Zerteile Zungen wie von Feuer setzten sich auf einen jeden von ihnen.

Und Jesu Schüler fangen an zu reden.

Sie reden in anderen Sprachen. Ein jeder, eine jede in der Sprache, die Gottes Geist ihnen eingibt.

Die Zungen der ungebildeten Fischer vom See Genezareth, sie sprechen all die Sprachen der Festbesucher: der Juden und der Griechen,

der Parther und Meder und Elamiter, der Leute aus dem Zweistromland von Euphrat und Tigris,

aus den verschiedenen Landschaften Kleinasiens,

aus Lybien und Ägypten.

Erstes, vielleicht wichtigstes Kriterium, auch für uns,

um zu erkennen, ob und wie der Heilige Geist unter uns wirksam ist:

dass wir uns zu reden trauen, dass bei Dir die Angst verschwindet, was Falsches zu sagen,

was nicht bedeutet, in einer Tour reden zu müssen,

was nicht bedeutet, sich nicht auch durch Blicke und Gesten, ohne Worte verständigen zu können.

Was nicht bedeutet, das man nicht auch zusammen schweigen kann, z.B. während jede und jeder ihrer, seiner Arbeit nachgeht.

Aber definitiv – der Heilige Geist ist kein stummer Geist. Er löst Deine Zunge. Er nimmt Dir Deine Angst, missverstanden zu werden, Dich nicht klar genug ausdrücken zu können.

Er löst Deine Zunge, dass Du Dich auf unbekanntes Terrain wagst, ohne Scheu, Dich zu verhaspeln.

Pfeif drauf, wie oft Du schon einen Vokabeltest verhauen hast.

Hab keine Angst, Dich plötzlich in Deinem Ort in einem arabischen, türkischen, iranischen, afghanischen, sudanesischen Stimmengewirr wiederzufinden.

Es gibt keinen besseren Dolmetscher, den Du Dir an Deine Seite wünschen könntest, der Dir einen Weg zu den anderen zeigen wird, als Gottes Heiligen Geist.

Es bleibt nicht aus: Die Leute, die in Jerusalem zusammen sind, bekommen mit, was im Haus der Jünger Jesu geschieht. Das gewaltige Brausen, die tanzenden Feuerflammen.

Welcher Mensch, der am Wochenfest in Jerusalem teilnimmt, muss da nicht an das Feuer und das Brausen denken, das den Tag begleitet, an dem Mose am Berg Sinai von Gott die Tafeln mit den zehn Worten für das Leben in der Freiheit erhält?

Und dann die verblüffende Entdeckung: Sie können jede und jeder die Schüler Jesu in ihrer eigenen Sprache verstehen.

Und ihre Reaktion ist: Sie sind verwirrt, sie sind bestürzt, sie sind erschrocken. Warum?

Warum sind sie nicht einfach begeistert?

Ist doch toll, die großen Taten Gottes in der eigenen, vertrauten Sprache hören – und auch noch verstehen.

Was denken Sie, was denkst Du, warum das so ist?

Wie oft klagen wir, dass Gott uns so weit weg vorkommt?

Aber wenn passiert, worauf wir so lange gewartet haben, weswegen wir ihn so bedrängt haben:

Gott bricht in unsere Wirklichkeit ein.

Uns wird klar: tatsächlich der, der am Kreuz gestorben ist, der, der so offensichtlich gescheitert ist, der lebt und nicht nur das, der, ausgerechnet der soll unser Leben sein.

Gottes Wort verschafft sich so unmissverständlich bei uns Geltung, wir können seiner Barmherzigkeit und Güte nicht mehr ausweichen,

wir können einfach nicht mehr weiter zögern und vor ihr Reißaus nehmen.

Gott reißt die Grenze zwischen Leben und Tod ein,

der Tod ist gar nicht mehr so todsicher, wie er zu sein schien.

Gott tastet die Grenzen zwischen uns an,

er räumt Grenzen aus dem Weg, die wir selbst pflichtgemäß immer beklagt haben.

Und jetzt, da sie wirklich im Schwinden begriffen sind, da stellen wir auf einmal fest, dass wir uns doch ganz gemütlich in diesen festgezurrten Grenzen eingerichtet haben.

Wenn Gottes Geist so viel Unruhe, so viel Unberechenbarkeit in unsere enge, begrenzte Weise zu leben bringt, kriegen wir es da mit der Angst zu tun?

Ist es das, was uns erschrecken lässt?

Sehen wir uns genötigt zu rufen: Halt! Bitte nicht ganz so schnell! Bitte nicht so umwerfend, bitte nicht so befremdlich anders?

Zu Pfingsten in Jerusalem löst Gottes Geist unter den Menschen aus so vielen Teilen der Erde nicht nur Verwirrung, Bestürzung und Erschrecken aus.

Es gibt auch noch andere Reaktionen.

Da sind Menschen, die fangen an zu spotten:

Klar doch, die Leute müssen betrunken sein.

Petrus spricht sie an: Nein, wir sind nicht betrunken, doch nicht morgens um 9 Uhr..

Gott löst ein, was er durch den Propheten Joel versprochen hat.

Gott gießt seinen Geist auf alles Fleisch aus.

Eure Söhne und Eure Töchter werden als Propheten reden.

Eure jungen Leute werden Gesichte sehen.

Eure Alten werde Träume haben.

Auf seine Sklaven und Sklavinnen gießt Gott seinen Geist aus. Und sie werden als Propheten reden.

Mit unserem bunt zusammengewürfelten Haufen aus Fischern und Zöllnern fängt es an.

Aber es ist nur der Anfang.

Gesegnet sei unser Gott.

Niemand von uns hat seinen Geist gepachtet.

Nicht wir Apostel, nicht wir Männer, ganz bestimmt nicht Eure Pastoren und Pastorinnen.

Gottes Geist brennt in jedem, in dem er brennen will. Er redet durch jede, durch die er reden will.

Ich, Petrus, wünsche Euch, dass er in Eurer Kirche, in Eurer Gemeinde sein Feuer entfacht:

in Euch Alten, in Euch Jungen.

Aber niemand von uns hat Gottes Geist für sich gepachtet.

Verfallt bloß nicht auf solchen Quatsch! Versucht bloß nicht, Gottes Geist für Euch zu reservieren!

Hamstern noch immer verboten!

Und völlig überflüssig.

Kennst Du Momente, kennst Du Orte, an denen Dir dämmert: das muss Gottes Geist sein, der hier am Werk ist: in Deiner, in unsrer Gemeinde?

In Dir selbst? In Menschen, die Du triffst?

In Menschen, die zu Dir reden, die einen Nerv in Dir treffen?

Du musst dazu nicht ausflippen, musst nicht mit den Händen wild in der Luft herumfuchteln.

Die Flamme von Gottes Geist kann hell aufleuchten, sie kann tanzen, Funken versprühen,

sie kann still und ruhig brennen wie eine Kerze an einem geschützten Ort.

Ihre Flame bringt uns zusammen,

sie hält uns zusammen.

Ich habe beim Schreiben ständig überlegt, ob ich mich davor drücken kann, selber eine Antwort auf die Frage zu versuchen, die ich Euch stelle.

Und ob, wenn ich das tue, das wirklich eine Hilfe für Euch, für Sie sein kann.

Ich will mich nicht drücken.

Wenn Ihr mich fragt: wo nimmst Du denn etwas davon wahr, dass Gott seinen Geist ausgießt und dass seine Flamme in Menschen brennt,

dann werde ich vielleicht so antworten:

Ich denke an die Zimmernachbarin meiner Alzheimer-kranken Mutter, an ihre Freundlichkeit und Langmut, durch die sie es mir an so vielen Tagen ermöglicht, meine Mutter wenigstens für einige Minuten am Telefon zu haben, indem sie sich daneben stellt und ihr den Hörer hält.

Ich denke an unsere Presbyterinnen und Presbyter, an die alten und an die neuen, an das, was sie tun, was sie überlegen, was sie organisieren.

Ich denke, an die junge, schwangere Frau, die wir bis vor ein paar Tagen gar nicht kannten, und wie es dazu gekommen ist, dass sie jetzt in unsere Wohnung in die Mittelstraße einziehen wird.

Ich denke an unsere Konfis und an unsere Katechumenen, an die beiden unterschiedlichen Telefonkonferenzen, die wir mit ihnen hatten.

Ich denke an die Trauerfamilie, die ich vorgestern beim Brotholen getroffen habe, an das Video, dass sie mir gezeigt haben, dass die Urenkelin von ihrem Besuch am Grab ihres Uropas aufgenommen hat.

Ich denke an die Hartnäckigkeit, mit der unser Junge für uns die Einkäufe erledigt, um seine Eltern vor Ansteckungsgefahr zu schützen.

Ich denke an Autoren, deren Bücher ich lese, die so meilenweit weg von Glauben und Kirche scheinen und die zu mir reden mit ihren kritischen, hartnäckigen Fragen nach dem, was hilft, Unrecht aus der Welt zu schaffen, so wie es die Propheten in der Bibel tun. Und die mir zeigen, wie brennend nötig wir es haben, dass Gottes Geist in uns die Hoffnung auf Gottes Verheißungen schürt.

Ich denke an die Rückfahrt aus dem Siegerland. Vielleicht war es ja doch nicht nur mein Wunsch nach einem schönen Photo, vielleicht war es doch ein Geschenk des Heiligen Geistes, dass ich unterwegs angehalten, ein ganzes Stück zu Fuß bergauf gelaufen bin und auf diese Weise am Hang im Abendlicht ein unglaubliches Blütenmeer aus Margueriten entdeckt habe, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe.

Warten lohnt sich. Warten ist schwer. Warten kann uns zur Verzweiflung treiben. Warten kann in Dir eine stille Vorfreude wecken.

Hör nicht auf, Herr, Deinen Geist auszugießen: auf Frauen und Männer, Alte und Junge, auf Deine geringsten Schwestern und Brüder,

und so auch auf uns.

Komm, heiliger Geist, Tröster,

zünde in uns Dein Feuer an,

fülle unsere Herzen, unsere Sinne,

setz unsere Hände und Füße und unsere Lippen in Bewegung!

Halt Dein Feuer in uns am Brennen!

Amen

Bibeltext zum 31.05.2020, Pfingsten, Apostelgeschichte 2,1-18

1  Und als der Tag des Pfingstfestes endlich da war, waren sie alle an einem Ort beisammen.
2.  Und plötzlich entstand vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein gewaltiger Wind daherfährt, 
     und erfüllte das ganze Haus, worin sie saßen. 

3.  Und es erschienen ihnen Zungen, die sich zerteilten, wie von Feuer, und es setzte sich auf jeden unter ihnen.

4.  Und sie wurden alle mit dem heiligen Geist erfüllt und fingen an, in andern Zungen zu reden, 
     wie der Geist ihnen auszusprechen gab.

5.  In Jerusalem aber wohnten Juden, gottesfürchtige Männer aus jedem Volk unter dem Himmel.

6.  Als aber dieses Getöse sich erhob, lief die Menge zusammen, 
     und sie wurde verwirrt; denn jeder hörte sie in seiner eignen Sprache reden.

7.  Es erschraken aber alle, verwunderten sich und sagten: 
     Siehe, sind nicht alle, die hier reden, Galiläer?

8.  Und wie hören wir, jeder in seiner eignen Sprache, in der er geboren ist:

9.  Parther und Meder und Elamiter und die, welche Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und Asia,

10. Phrygien und Pamphylien, Ägypten und die Gebiete Libyens bei Cyrene bewohnen, und die hier weilenden

11 Juden und Judengenossen, 11. Kreter und Araber - 
      wir hören sie in unsern Zungen von den großen Taten Gottes reden.

12. Sie erstaunten aber alle und waren ratlos und sagten einer zum andern: Was soll das werden?

13. Andre aber spotteten und sagten: Sie sind voll süßen Weines. 

14. Da trat Petrus mit den Elfen auf, erhob seine Stimme und redete sie an: 
      Ihr jüdischen Männer und ihr alle, die ihr Jerusalem bewohnt, das sei euch kund, und horcht auf meine Worte!

15. Denn diese sind betrunken, wie ihr annehmt - es ist ja (erst) die dritte Stunde des Tages -,

16. sondern hier erfüllt sich, was durch den Propheten Joel gesprochen worden ist:

17. «Und es wird geschehen» in den letzten Tagen - spricht Gott - 
      «da werde ich ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch, 
      und eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, 
      und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und eure Greise werden Träume träumen.

18. Ja, auch über meine Sklaven  und über meine Sklavinnen werde ich in jenen Tagen von meinem Geist
ausgießen», und sie werden prophetisch reden.

 

 

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