Liebe Gemeinde,
hab keine Scheu zu sagen: „Es ist genug. Ich kann nicht mehr. Es ist zu viel. Ich will nicht mehr.“ Du bist nicht Gott, Du bist ein Mensch. Auch wenn Du, vielleicht sogar lange Zeit, auf die anderen so stark gewirkt hast, so als könnte Dich nichts erschüttern, während es in Dir selbst schon längst ganz anders aussah. Niemand kann das von Dir verlangen, dass Du weiterhin die Starke spielst: Dein Mann nicht, Deine Kinder nicht, auch nicht Deine beste Freundin oder Deine Arbeitskollegen. Du selbst darfst das nicht von Dir verlangen. Schon deshalb, vor allem deshalb nicht, weil Gott das nicht von Dir verlangt, dass Du Deine Grenzen ignorierst, dass Du Raubbau mit Deinen Kräften treibst.
Natürlich, Ihr habt Recht, das ist ein gewagter Vergleich, wenn wir uns mit dem Propheten Elia vergleichen. Was wissen Du und ich davon, was es bedeutet, sich einer skrupellosen Gewaltherrscherin wie der Königin Isebel aktiv in den Weg zu stellen, der Herrscherin, die sich in Israel eingeheiratet hat, die ihren Mann Ahab nach Belieben um den Finger wickelt. Sie tut alles, um die Menschen in Israel von dem Glauben an den lebendigen Gott abzubringen, der das jüdische Volk aus der Sklaverei des Pharao befreit und in das Land gebracht hat, dass er ihnen zugeschworen hat, dass sie darin leben sollen. Sie ist bereit, dafür über Leichen zu gehen. Sie ist nicht nur bereit dazu, sie tut es. Sie hat es wieder und wieder unter Beweis gestellt. Es wäre nichts als Leichtsinn, würde Elia ihre Morddrohung gegen ihn als leere Drohung nehmen.
Was wissen Du und ich davon, was es bedeutet, als Demonstrantin gegen die eigene Regierung auf dem Maidan-Platz in Kiew oder dem Tahir-Platz in Kairo sein Leben aufs Spiel zu setzen, damit sich die Verhältnisse hoffentlich zum Besseren wenden.
Und trotzdem, wer will uns verbieten, für uns selbst Mut zu schöpfen aus dem, was Elia widerfährt, was er mit Gott erlebt. Im Vergleich zu dem, was ein Elia durchzustehen hat, im Vergleich zu dem, was die Menschen in Kiew, Kairo und anderen Gewaltorten dieser Welt durchzustehen haben, verlieren unsere eigenen Sorgen an Gewicht, relativieren sich, kommen uns einigermaßen läppisch vor. Es schadet uns bestimmt nichts, wenn wir einen nüchternen Blick für die Unterschiede in den Größenordnungen bekommen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Menschen und Dinge, für die wir Verantwortung tragen, dass, was Tag für Tag von uns gefordert und erwartet wird, dass das nichts ist. Das bedeutet noch lange nicht, dass es unwichtig ist, ob und wie Du und ich heute und Morgen unsere Frau und unseren Mann stehen: in unserer Klasse, in unserem Beruf, am Krankenbett, auf dem Arbeitsamt, wenn Dich jemand bittet, ihm zu vergeben.
Elia flieht vor Königin Isebel. Sie hat geschworen, dass sie ihm das Gleiche antun wird, was er am Berg Karmel ihren Baalspriestern angetan hat. Elia nimmt ihre Morddrohung ernst. Er überschreitet die Grenze. Er verlässt das Nordreich Israels. Er zieht durchs ganze Land Juda bis ganz in den Süden nach Beer Scheba. Dort lässt er seinen Diener zurück. Er geht immer weiter Richtung Wüste. Er nimmt den gleichen Weg wie viele Jahre vor ihm Hagar, die Magd von Abrahams Sara, mit dem kleinen Ismael, als sie die Demütigungen Saras nicht länger ertragen konnte. Elia will allein sein. Er ist nicht vor Isebel geflohen, um sich in Sicherheit zu bringen. Er ist geflohen, um zu sterben, nur bloß nicht durch ihre Hand. Er hält das Leben, er hält seinen täglichen Kampf allein auf einsamer Flur nicht mehr aus. Er will nichts als schlafen: schlafen, schlafen, schlafen und nie wieder aufwachen. Er legt sich unter einen Ginsterbusch und schläft ein.
Dort, erschöpft unter dem Ginsterbusch eingeschlafen, findet ihn Gott, wollte ich schreiben. Aber das ist so nicht richtig. Weil, das hört sich so an, als wäre Gott den ganzen langen Weg über, der hinter Elia liegt , lediglich auf der Suche nach ihm gewesen, so, als hätte er hinter Elia herlaufen müssen, um ihn einzuholen. Mag sein, dass Elia selbst das so empfunden oder zumindest gehofft hat, dass es so ist: dass er nicht so allein ist, wie er sich fühlt, sonder dass Gott auf der Suche nach ihm ist.
In Wirklichkeit ist Gott den ganzen langen einsamen Weg mit seinem Elia gegangen, hat ihn Schritt für Schritt begleitet, hat gefühlt, was Elia fühlt, hat in seinen Gedanken gelesen, wie er das immer getan hat. Er hat das Blut der Baalspriester an den Händen Elias gesehen die er auf dem Berg Karmel in seinem Eifer für seinen Gott getötet hat, weil sie die Menschen in Israel dazu verführt haben, ihre Hoffnung auf den toten Götzen Baal zu setzen, von dem toten Götzen Baal Hilfe zu erwarten, der doch nicht helfen kann, der keine Ohren hat, die hören, keine Augen, die sehen, kein Herz, dass mit dem Schwachen fühlt und Partei für ihn ergreift, geschweige denn, dass er die Macht besitzen würde, dem ausgedörrten Land den fruchtbringenden Regen zu geben, auf den die Menschen so sehnlich warten.
Gott weiß um den tödlichen Eifer seines Propheten.
Unser Gott, der Gott Israels, sagt über sich selbst, dass er ein eifernder Gott ist. Ins Innerste wühlen ihn die Grausamkeiten auf, die Menschen andern Menschen antun. Er kann sie nicht vergessen. Er kann darüber nicht zur Tagesordnung überzugehen. Und so kann er auch nicht die Grausamkeiten vergessen, die Königin Isebel und ihre Leute in Israel angerichtet haben.
Aber was denkt Gott über seinen Elia? Denkt er, dass Elia zu weit gegangen ist, dass er sich angemaßt hat, selbst in die Hand zu nehmen, was Gott sich selber vorbehalten hat, dass Elia versucht hat, selber zu rächen, statt die Rache Gott zu überlassen, statt es ihm zu überlassen, dass in Israel begangene Unrecht zu ahnden, so, wie er es für richtig hält? Ist er erschrocken über das, was passiert ist, als Elia seinem Eifer freien Lauf gelassen hat?
Zürnt Gott mit seinem Propheten? Oder kennt er die Zerrissenheit Elias von innen her? Kennt er die Zerrissenheit, die auch ein Dietrich Bonhoeffer erlebt hat, nachdem er sich dazu entschlossen hat, das gewaltsame Attentat auf Adolf Hitler mit vorzubereiten, um der Herrschaft der Nazis in Deutschland ein Ende zu setzen? Weiß er um die innere Zerrissenheit, die daraus entsteht, feststellen zu müssen, dass sich Gewaltherrschaft auf dieser Erde in den seltensten Fällen bekämpfen lässt, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, ohne selbst schuldig zu werden, weil es unumgänglich ist, einseitig Partei zu ergreifen, anstatt sich weiter herauszuhalten, und den angeblich neutralen Beobachter zu spielen.
Gott hört und sieht seinen Elia, der unter dem Ginsterbusch liegt und schläft. Aber er hört nicht auf Elias Wunsch, der Gott darum gebeten hat, dass er sein Leben nehmen, dass er ihn hier einsam in der Wüste sterben lassen soll. Gott schickt einen Boten zu Elia, einen Engel, Und wir wissen, dass Engel keinesfalls Männer mit Flügel sein müssen.
Wie viele Boten hat Gott schon zu Dir geschickt, in Momenten in denen Du sie am nötigsten hattest, auch wenn Du gar nicht gemerkt hast, dass Du es mit einem Boten Gottes, mit einem Engel zu tun hast?
Gottes Bote weckt Elia auf. Er reißt ihn nicht aus dem Schlaf. Er rüttelt ihn nicht an den Schultern. Gottes Bote rührt Elia an. Elia wacht auf. Gottes Bote stellt sich nicht auf. Er sagt nur zweite Worte. Steh auf, iss! Elia dreht sich um. Neben seinem Kopf steht ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Elia isst und trinkt. Und dann legt er sich wieder hin, um weiter zu schlafen.
Ich weiß nicht, wie lange Elia geschlafen hat, ob es nur Minuten gewesen sind, oder mehrere Stunden, wer weiß dass schon, wenn er in einem solchen Erschöpfungszustand von neuem eingeschlafen ist. Elia wird wieder von Gottes Boten geweckt. Wieder rührt er ihn. Wieder sagt er: Steh auf, iss! Aber dieses Mal fügt er hinzu: Du hast noch genug Wegs vor Dir. Er benutzt das gleiche Wort „genug“, dass Elia selbst vor kurzem benutzt hat, als er zu Gott gesagt hat: Es ist genug, ich kann nicht mehr, lass mich sterben. Aber in dem Mund von Gottes Boten bekommt das kleine Wort „genug“ einen genau gegenteiligen, neuen Sinn. Da steht Elia auf. Er isst und trinkt. Und dann geht Elia tatsächlich los. Er verlässt den Ort, an dem er sterben wollte. Gestärkt durch das Brot und das Wasser geht Elia vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb, was vielleicht nur ein anderer Name für den Berg Sinai ist, an dem Mose von Gott die Tafeln mit den 10 Geboten bekommen hat.
Wenn dieses Gefühl über Dich hereinbricht, dass es genug ist, dass Du nicht mehr weiterkannst,, weil Dir einfach alles über den Kopf wächst, dann helfen keine Durchhalteparolen. Das ist völliger Quatsch, dass Du Dir jetzt einredest, Du müsstest irgendetwas tun, um den inneren Schweinehund besiegen. Wenn Du Dir nicht von Gott die Kraft schenken lässt, weiterzugehen, wie willst Du nur einen einzigen Schritt weiterkommen?
Elia kommt zur Höhle, nicht zu irgendeiner Höhle, sondern zu der Höhle mit dem Felsspalt, wo Gott Mose hingestellt hat, als dieser sich geweigert hat, die Söhne und Töchter Israels weiter durch die Wüste zu führen, ohne dass Gott mitzieht, und ohne dass Gott Mose einmal seine Herrlichkeit sehen lässt.
Gott ist da, er hat Elia schon erwartet. Aber er empfängt ihn nicht mit einem „Herzlich willkommen!“ sondern mit einer nüchternen Frage: Was willst Du hier, Elia? Und gibt Elia so die Gelegenheit, dem ganzen Frust seines Herzens Luft zu machen: Ich habe geeifert für Dich, denn Herrn der Herrscharen, denn die Söhne Israels haben ja Deinen Bund verlassen, deine Altäre liegen in Scherben, sie haben deine Propheten mit dem Schwert umgebracht. Ich allein bin übrig geblieben. Jetzt wollen sie mir das Leben nehmen.
Einer allein gegen alle. So sieht Elia das, so fühlt er sich. Und Gott hört seinem Elia zu, ohne ihn zu korrigieren, ohne das zurecht zu rücken. Statt dessen sagt er: Stell dich hin auf Berg, vor mein Angesicht. Und dann zieht Gott an Elia vorüber. Vor Gottes Antlitz ein ein gewaltiger Sturm, der Berge zerreißt und Felsen zermalmt, aber Gott ist nicht in dem Sturm, nach dem Sturm ein Beben, auch in der Erschütterung des Bebens ist Gott nicht. Nach dem Beben ein Feuer, aber auch in dem Feuer ist Gott nicht. Nach dem Beben eine Stimme verschwebenden Schweigens. Kein sanftes, mildes Säuseln, kein sanfter Frühlingshauch, sondern eine Stimme, die kaum hörbar, schon verklungen ist. So zieht Gott an Elia vorüber, ohne dass er ihn zu fassen bekommt, ohne dass er ihn einfangen und festhalten kannn. So wie Mose Gott damals nicht ins Angesicht sehen durfte, weil kein Mensch das ertragen hätte, so wie Mose der Herrlichkeit von Gottes Angesicht nur hinterher sehen durfte, so bleibt Elia nichts als der Nachklang von Gottes Stimme. Er kann sie nicht festhalten, aber er hat sie gehört.
Dieser Gott lässt sich nicht vor unseren Karren spannen, nicht vor unserer Erfolgsträume, nicht vor unsere Sorge um unseren Selbsterhalt, nicht vor unserer Sehnsucht nach Harmonie und einem bisschen Frieden, wo in Wirklichkeit noch gar kein Frieden ist. Dieser unser Gott bleibt uns voraus, ruft uns hinter sich her. Rüstet uns mit der Kraft aus, ihm zu folgen.
Als Elia diese verschwebende Stimme hört, hüllt er sein Angesicht in seinen Mantel. Und Gott fragt ihn ein zweites Mal: Elia, was willst Du hier. Und Elia wiederholt wortwörtlich, was er Gott schon beim ersten Mal geantwortet hat. Dieses Mal antwortet Gott dem Elia. Elia mag mit seiner Kraft, am Ende sein, aber Gott ist mit seiner Kraft am Ende, Elia mag den Kampf gegen Isebel und ihre Willkürherrschaft verloren geben, aber Gott gibt diesen Kampf nicht verloren. Er ist entschlossen, ihn weiter zu führen.
Gott, nicht Elia wird diesen Kampf gewinnen. Gott, nicht wir, wird die Kämpfe um seine Welt gewinnen, in die er uns hinein gestellt hat. Aber er hat konkrete, begrenzte Aufträge für uns. Er hat einen konkreten, begrenzten Auftrag an Elia: Geh zurück, dorthin, von wo Du geflohen bist. Nicht um Dich von neuem aufzureiben, sondern um in Israel einen neuen König zu salben, der der Nachfolger von Ahab und Isebel sein wird. Geh zurück, und salbe mir Elischa zu Deinem Nachfolger. Und vielleicht das wichtigste. Du täuschst Dich Elia, Du stehst nicht allein. Du kämpfst keinen einsamen Kampf. 7000 werde ich mir als einen Rest in Israel lassen, die ihre Knie nicht vor dem Götzen Baal beugen, die sich nicht an den Verbrechen Isebels gegen die eigene Bevölkerung beteiligen.
Du täuscht Dich, Du Mann, Du Frau, Du Junge, Du Mädchen in Vlotho, Du stehst nicht allein, Du kämpfst keinen einsamen Kampf. Dafür wird Gott immer sorgen, dass Du andere an Deiner Seite hast, die mit Dir gemeinsam kämpfen, die mit Dir gemeinsam glauben, hoffen, lieben, die nicht auf ihre eigene Macht setzen, sondern darauf, dass ich euch vorausgehe, darauf, dass meine Kraft in euch Schwachen mächtig ist.
Amen.